Er trug den Rosa Winkel

geschrieben von Markus Tervooren

11. September 2013

Wie lebenslanges Schweigen doch gebrochen werden kann

 

Darin sind sich die ehemalige Wirtin aus Altena (Bergisches Land) und die Schwester (Wuppertal) von Willi Heckmann einig, es war doch die schönste Zeit in ihrem Leben. Gemeint ist die Zeit des deutschen Faschismus. Kalt über den Rücken sei es ihnen gelaufen, als sie den »Führer« gesehen hätten, ihre Augen strahlen. Darüber hat Klaus Stanjek den anrührenden Film »Klänge des Verschweigens« gemacht. Und das sind nur einige der bedrückenden Aussagen aus Interviews, die der Macher des Films und Neffe des Protagonisten sammelt, deutsche Familien, deutsche Nachbarn, deutsche Orte, deutsche Normalität. »Spurensuche« in der eigenen Familie, den kleine Leuten, den »Mitläufern«, auch das ist ein Thema von Stanjeks Film

Erst an dessen 90. Geburtstag und wenige Jahre vor seinem Tod erfährt Klaus Stanjek 1987, dass sein Lieblingsonkel, mit dem er viele Jahre als Kind zusammengelebt hatte und der so anders und netter war, acht Jahre in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen gesessen hatte. Und dass seine Familie darüber nie geredet hatte.

Dabei passte Willi Heckmann, der »Rheinische Tenor« den Nazis anfangs ganz gut in ihr völkisches (Kultur)Programm. Der »deutsche Schlager« sollte »Kulturbolschewismus« und »entartete Musik« verdrängen. 1933 wurden 8000 jüdische Musiker aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen. Das »Deutsche Podium, Kampfblatt für deutsche Musik« schreibt: »Willi Heckmann, der übrigens musikalisch gar nichts vermissen lässt … hat sich im Laufe der vielen Monate einen großen Stamm von Freunden und Gönnern gewonnen. … Klavierspiel, schönes Akkordeon, ein durchgebildeter Gesang, mit allem wartet er auf …«

Das nützt ihm allerdings nichts mehr, als er am 29. Juli 1937 in die Münchener Gestapozentrale verschleppt und von dort aus als »175iger«, also Schwuler, in das KZ Dachau und bei Kriegsbeginn in das KZ-Mauthausen gebracht wird. Dort überlebt er als das, was er auch schon vorher war – als Musiker. Sein Neffe entdeckt und erkennt ihn auf dem berühmten Foto von der »Zigeunerkapelle« des KZ Mauthausen. Häftlinge mussten in vielen Lagern für die SS aber auch für ihre Mithäftlinge spielen. Das verschaffte ihnen als »Funktionshäftlingen« Erleichterungen bei der Arbeit z.B. im Steinbruch und besseres Essen. Geflüchtete und wieder ergriffene Häftlinge wurden unter Musikbegleitung ins Lager zurückgebracht und auch Exekutionen wurden oft mit musikalischer Begleitung vollzogen.

Am 5. Mai 1945 werden die Häftlinge von Einheiten der US-Army befreit. Der schwule Musiker kehrt nach Wuppertal zurück und macht dort weiter als Berufsmusiker. Er kehrt zurück zu seiner Schwester, die ihre Karriere im BDM der Nazis fortgesetzt hatte, obwohl ihr Bruder, den sie liebte, eingesperrt und gequält wurde und zu den Verwandten und Nachbarn, die eigentlich nicht daran gezweifelt hatten, dass Homosexualität ein legitimer Grund sein könne, ins KZ zu kommen. Zu seiner Kusine die ihn für pädophil hält, ihn aber trotzdem mag. Zu den Freunden und Nachbarn, für die er jetzt wieder auf Familienfesten spielt. Er darf wieder dazugehören. Seine Homosexualität bleibt weiterhin tabuisiert und in der BRD bis zur Abschaffung des § 175 am 10. Juni 1994 verfolgt und strafbar.

In seinem Film tritt Klaus Stanjek eine erst vorsichtige dann energische aber auch zärtliche Suche, eine oft vergebliche Reise in das Leben seines Onkels an, der ihm zu Lebzeiten wenig hilft – er kann nicht darüber reden. Stanjek kämpft sich durch die Mutmaßungen, Gerüchte, geschönten Erinnerungen und Schutzbehauptungen von Nachbarn, Bekannten und Familienangehörigen und beendet das Schweigen.

Ein persönlicher Film, ein liebevoller Film, ein mutiger Filmemacher, ein Film den man unbedingt sehen sollte. Menschen im Alter von Stanjek (geboren 1948 in Wuppertal) aber auch Jüngere, werden viel aus ihrem eigenen Leben wiederentdecken.