50 Jahre später

geschrieben von Peter C. Walther

21. November 2013

Der Auschwitzprozess in Frankfurt am Main

 

Am 20. Dezember 1963 begann in Frankfurt am Main, mehr als achtzehn Jahre nach dem Ende des Naziregimes, der erste deutsche Auschwitz-Prozess. Gerichtsort war der Plenarsaal des Stadtparlaments im Rathaus Römer. Das für den Prozess vorgesehene »Haus Gallus« war nicht rechtzeitig fertig geworden. Erst im April 1964 konnte der Prozess dann dort weiter und im August 1965 nach 183 Verhandlungstagen zu Ende geführt werden.

22 ehemalige SS-Leute, zum Teil zum Führungspersonal des Konzentrations- und Vernichtungslagers gehörend, waren angeklagt, unter ihnen die beiden Adjutanten des Lagerkommandanten, Robert Mulka und Karl Höcker. So lautete denn auch die juristische Prozessbezeichnung »Strafsache gegen Mulka und andere«.

In Auschwitz, dem räumlich größten KZ-Komplex der Nazis, dazu gehörend das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wurden weit über eine Million Menschen umgebracht. Es dauerte achtzehn Jahre, bis wenigstens einige derjenigen, die die Massenmorde begangen hatten, vor ein deutsches Gericht gestellt wurden.

Die insgesamt mangelhafte, wenn nicht ganz und gar unterbliebene Aufarbeitung der Naziverbrechen wird bereits an den Zahlen deutlich: In Auschwitz waren von Mai 1940 bis Januar 45 über 8.000 SS-Männer und etwa 200 SS-Aufseherinnen tätig. Gerade 800 von ihnen, also unter zehn Prozent, wurden vor Gericht gestellt, der größte Teil, rund 650, vor polnische Gerichte. In der Bundesrepublik waren es einschließlich der beiden kleineren Prozesse, die dem Frankfurter Auschwitzprozess folgten, lediglich 36 SS-Angehörige und sieben Funktionshäftlinge aus Auschwitz, die vor Gericht gestellt wurden.

Vor allem auf Grund des ständigen Drängens des damaligen hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer waren die Ermittlungen überhaupt erst in Gang gekommen. Im August 1961 eröffnete dann Ermittlungsrichter Heinz Düx die gerichtliche Voruntersuchung, die im Herbst 1962 abgeschlossen wurde. Die Hauptakten wuchsen auf 74 Bände an; die Anklageschrift umfasste 700 Blatt.

Das allgemeine Klima in der Bundesrepublik war bis dahin vorwiegend auf Nichtbefassen und Verdrängen der Vergangenheit, auf Vergessen und »Schlussstrichziehen« ausgerichtet. In diesem Klima führte der Auschwitz-Prozess nicht nur zu neuen Maßstäben für die juristische Aufarbeitung von Naziverbrechen, sondern trug zumindest partiell auch zur Aufklärung und Bewusstseinsbildung in der deutschen Gesellschaft bei. Die massenhaften Verbrechen unter der Naziherrschaft konnten nicht mehr verdrängt und übersehen, die Täter nicht auf eine winzige Führungsschicht reduziert werden.

Das Gericht in Frankfurt hörte an 181 Verhandlungstagen 356 Zeugen, darunter 211 Überlebende von Auschwitz. Für viele von ihnen waren die Prozesstage eine ungeheure Belastung. Dagegen gaben sich die meisten Angeklagten als Biedermänner. Sie konnten sich entweder an nichts erinnern, fühlten sich nicht verantwortlich für das Geschehene oder hatten »nur Befehle ausgeführt«.

Zehn an den Massenmorden beteiligte Angeklagte stufte das Gericht nicht als Täter, sondern als bloße Gehilfen ein. Sie erhielten wegen »Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord« an bis zu mindestens 8.000 Menschen Haftstrafen zwischen 3 ½ und 7 Jahren, in einem Fall 14 Jahre. Bei zwei von ihnen galt die Strafe durch die U-Haft als verbüßt. Der Angeklagte Stark erhielt eine zehnjährige Jugendstrafe, weil er erst 19 Jahre alt war, als er in Auschwitz mordete. Drei Angeklagte wurden aus Mangel an Beweisen für ihre konkrete Beteiligung an den Massenmorden – so die bis vor kurzem übliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik – freigesprochen. Der Lagerarzt Franz Lucas erreichte seinen Freispruch im Revisionsverfahren. Sechs Angeklagte erhielten lebenslange Freiheitsstrafen. Einer von ihnen wurde bereits nach zehn Jahren begnadigt.

Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess war und bleibt – trotz dieser zum Teil unbefriedigenden Urteilssprüche – wegen seiner Themas und seiner Rolle von erheblicher Bedeutung