Öffentliche Eingriffe

geschrieben von Ernst Antoni

4. September 2014

Die Aktionen des Münchner Künstlers Wolfram Kastner

 

Schwer war, obwohl innen hohl, der Bronzekopf. Zu dritt mussten sie anpacken, der Künstler Wolfram Kastner und zwei Freunde, um ihn herunter zu hieven vom Sims an der Klostermauer. Dann betteten sie das Haupt des einstigen Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten erst einmal ins Grüne und der Künstler markierte das rechte Auge der Plastik mit einem Hakenkreuz-Button. Zur Veranschaulichung der Hintergründe und Zusammenhänge der Demontage, die da eben stattgefunden hatte.

Künstler Wolfram Kastner bei der Hindenburg-Erläuterung. Foto: ikufo

Künstler Wolfram Kastner bei der Hindenburg-Erläuterung. Foto: ikufo

Die Hindenburg-Büste stammt aus der Werkstatt des Nazi-Bildhauers Josef Thorak. Vielerorts fand sie während der NS-Zeit Verwendung, nicht zuletzt dort, wo der Mann, der Hitler zur Macht verholfen hatte, mit Ehrenbürgerwürden ausgezeichnet worden war. Im oberbayerischen Dorf Dietramszell, dem Ort unserer Handlung, hatte dies bereits 1926 stattgefunden. Und zwei Monate, nachdem Hindenburg Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt hatte, wurde auch dieser Ehrenbürger des Dorfes.

Als im vergangenen Jahr bekannt wurde, dass diese Ehrenbürgerschaften nach wie vor bestehen, ohne dass sich jemand davon distanziert hätte, rückte die Gemeinde kurzzeitig im In- und Ausland ins Rampenlicht. Hatte sich doch in einer dazu einberufenen Gemeinderatssitzung die Hälfte der Räte gegen den Entzug der Ehrenbürger-Würden ausgesprochen. Zwar wurde dies, als das Ausmaß des Image-Schadens unübersehbar war, in einer späteren Sitzung durch einen einstimmigen Aberkennungsbeschluss revidiert, der Thorak-Hindenburg jedoch blickte weiterhin von der Klostermauer markig ins Dorf. Bis ihn die Kastner’sche Kunstaktion nun, zumindest vorerst, vom Sockel holte.

Der Münchner Aktionskünstler – so nennen ihn die Medien, er selbst meint, er halte es lieber mit Paul Klee, der gesagt habe, Kunst müsse etwas sichtbar machen, das man sonst nicht sieht – hat viel Erfahrung mit veranschaulichenden Eingriffen in den öffentlichen Raum. Sei es durch Herausnahmen oder Umwidmungen dort vorhandener Scheußlichkeiten, meist mit militaristischen und nazistischen Hintergründen, wie hier am Beispiel Hindenburg geschehen, Sei es aber auch durch das Hinzufügen von Objekten und künstlerischen Hinweisen an historischen Orten.

Da gibt es von ihm etwa diese weißen Koffer mit den Namensetiketten, aufgestellt dort, wo jüdische Menschen in die Vernichtungslager verschleppt wurden. Da gibt es den »Brandfleck« auf dem Münchner Königsplatz, das vom Künstler Jahr für Jahr in den Rasen gebrannte Loch zur Erinnerung an die Bücherverbrennung der Nazis, inzwischen verbunden mit Lesungen aus »verbrannten Büchern«, an denen sich Münchnerinnen und Münchner aus unterschiedlichsten »Zusammenhängen« beteiligen. Und noch viele weitere Aktionen quer durch die Lande.

All das hat dem Künstler Kastner im Lauf der Jahre viel Publizität und auch die eine oder andere Ehrung eingebracht, so unter anderem 2011 den »Hans-Frankenthal-Preis« des Internationalen Auschwitzkomitees. Öfter aber kam es zu Interventionen durch Polizei und andere »Ordnungskräfte«, gefolgt von Strafverfolgungen und gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Nach öffentlichkeitswirksamen Eingriffen mit einer Schere etwa, mit der Wolfram Kastner bei einschlägigen »Heldengedenk«-Veranstaltungen Kranzschleifen mit »Waffen-SS«-Ehrungen entfernte. Besonderes Kuriosum hier in einem Fall: Die »Tat« hatte auf österreichischem Boden stattgefunden, dort aber wollten die Behörden nicht aktiv werden. Worauf sich prompt eine bayerische Ermittlungsbehörde fand, die sich ans strafverfolgende Handwerk machte.

Im »Fall Hindenburg« sieht es, darf man der regionalen Presse glauben, derzeit anders aus: »Wolfram Kastner hat nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft München II keine strafbare Handlung begangen. Sachbeschädigung liegt nicht vor, weil der Bronzeschädel nicht so in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass man ihn nicht wieder anbringen könnte. Diebstahl liegt nicht vor, weil er die Büste ja nicht mitgenommen hat. Und auch das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole – Kastner klebte ein Hakenkreuz auf das Auge des eisernen Marschalls – kommt nicht in Betracht. ‚Es geht hier ja um eine Negativdarstellung‘, erklärt Frank Konrad vom Polizeipräsidium Oberbayern. ‚Damit soll die nationalsozialistische Gesinnung nicht verherrlicht, sondern im Gegenteil angeprangert werden.‘»

Solches liest man in vergleichbaren Fällen eher selten. Vielleicht lag es in diesem Falle auch daran, dass der Kommentator der überregionalen Süddeutschen Zeitung seiner Meinung zu Hindenburg-Büste und Kunstaktion eine überzeugende Überschrift gegeben hatte: »Weg mit dem Hohlkopf«.