0ffene Särge zum Empfang

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Vor der Eröffnung der KZ-Gedenkstätte Esterwegen – ein
äußerst »sensibles Thema«

Sept.-Okt. 2011

Zu den prominenten Häftlingen in Esterwegen gehörte der Friedennobelpreisträger von 1935 Carl von Ossietzky, der als »nicht haftfähig« am 7. November 1936 »probeweise aus der Schutzhaft entlassen« wurde und am 4. Mai 1938 an den Folgen den Haft verstarb.

Hier waren, neben zahlreichen bekannten Funktionären der Arbeiterbewegung, auch Friedrich Ebert, Sohn des ersten Reichspräsidenten, Ernst Heilmann, SPD-Fraktionsvorsitzender im Preußischen Landtag und der Reichstagsabgeordnete der KPD Theodor Neubauer eingesperrt.

Carl von Ossietzky

»Ob wir überleben, ist weder sicher noch die Hauptsache.

Wie man später von uns denken wird, ist so wichtig wie, dass man an uns denken wird.

Darin liegt auch unsere Zukunft. Danach müssen wir leben, solange wir atmen.

Ein Deutschland, das an uns denkt, wird auch ein besseres Deutschland sein.«

Auf diese Nachricht haben die wenigen noch lebenden »Moorsoldaten« und all diejenigen gewartet, die sich in den vergangenen Jahrzehnten seit der Befreiung für eine Erinnerungsstätte an einem Ort eingesetzt haben, der die Barbarei des deutschen Faschismus wach hält, der schon wenige Tage nach der sogenannten Machtübertragung zur Folterstätte für die Gegner des Regimes wurde: Nach dreijähriger Arbeit wird am 21. Oktober auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen in Niedersachsen eine Gedenkstätte für die im Emsland von 1933 bis 1945 existierenden 15 Lager eingeweiht. Eine Konstruktion aus Glas, Kunststoff und Beton verbindet zwei ehemalige Hallen, die bis 2002 von der Bundeswehr als Depot benutzt wurden. In einer der Hallen wird in Zusammenarbeit mit dem von engagierten Bürgern gegründeten und von ehemaligen Moorsoldaten unterstützten Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) aus Papenburg eine Dauerausstellung über die 15 Emslandlager eröffnet. Geleitet von einer gemeinsamen selbständigen Kommandantur in Papenburg, entlang der Ems bis hin zur holländischen Grenze wurden sie bis zur Befreiung 1945 als Schutzhaft- und Konzentrationslager zur Unterbringung von Widerstandskämpfern aus überfallenen westeuropäischen Ländern und als Kriegsgefangenenlager zu Orten brutalsten Terrors und des Mordes.

Eine Untersuchung der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste von 1988 spricht von mindestens 2 378 Menschen, die in den Konzentrations- und Strafgefangenenlager ums Leben kamen. In den ab 1939 von der Wehrmacht übernommenen Kriegsgefangenstammlagern (Stalag) starben an die 900 Soldaten verschiedener Nationalitäten. Genaue Zahlen über die zumeist in Massengräbern verscharrten und noch immer nicht restlos identifizierten umgekommenen sowjetischen Kriegsgefangenen gibt es nicht. Sie reichen von 14 250 bis 26 250.

Die Anweisung zum Bau der Emslandlager kam am 5. April 1933 aus dem von Ministerpräsident Hermann Göring geleiten Preußischen Innenministerium in Berlin. Regierungspräsident Bernhard Eggers in Osnabrück erhielt den Auftrag, im Emsland mehrere Konzentrationslager für 3000 bis 5000 politische Häftlinge einzurichten. In dieser Größenordnung hatten die faschistischen Machthaber in den Tagen und Wochen nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 im Rheinland und im Ruhrgebiet in flächendeckenden Aktionen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Gegner des Regimes jeglicher Couleur verhaftet. Im Emsland sollten sie isoliert werden. Entsprechend entstanden in kürzester Zeit drei Lager für 4000 Häftlinge: Börgermoor bis zum 1. Juli 1933, Esterwegen bis zum 1. August 1933 und das Lager Neusustrum im September 1933. In Börgermoor waren bis zu 90 Prozent der Häftlinge Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter. In Neusustrum standen zur »Begrüßung« der von einem 28 Kilometer langen Weg vom Bahnhof bis zum Lager total erschöpften Häftlinge offene Särge bereit. Im September 1936 gingen die letzten Häftlinge von Esterwegen auf »Transport« in das nahe bei Berlin neu errichtete KZ Sachsenhausen.

Über den maßlosen Terror der SS im Lager Börgermoor, das ab 1. Juli 1933 bereits unter dem Kommando der SS stand, hat der Schauspieler und spätere Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, Wolfgang Langhoff in seinem Bericht »Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager« erschütternde Einzelheiten geschildert. Aber auch über den Widerstand der Häftlinge und die Entstehung des Moorsoldatenliedes, das in einer von der illegalen Häftlingsleitung organisierten Kulturveranstaltung »Zirkus Konzentrazani« erstmals durch 16 Häftlinge im Beisein der SS öffentlich gesungen wurde. Langhoff nutzte eine von der SS zu Pfingsten angeordnete Veranstaltung, den Häftlingen Mut zu machen, »obwohl wir Humor und Galgen noch nie so dicht beieinander erlebt haben«.

Als im Sommer des Jahres 2000 erstmals im Gemeinderat in einer nichtöffentlichen Sitzung über das »sensible Thema« der Errichtung einer Gedenkstätte in Erstwegen gesprochen wurde, befanden Gemeindevertreter, eigentlich sei man »schon drei Schritte zu weit gegangen«. Es bleibt zu hoffen, dass beim Festakt am 21. Oktober die Festredner nicht diejenigen vergessen, die durch ihr jahrzehntelanges Engagement die Schritte zur nun vollendeten Gedenkstätte durchgesetzt haben.