An den Holocaust erinnern

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Zum Tod des Künstlers und Mahners George Tabori

Sept.-Okt. 2007

»Die Kehrseite von Taboris Erfolg und spätem Ruhm offenbart sich darin, dass seine Arbeiten zur Holocaust-Thematik leider in keiner Weise ›schulbildend‹ geworden sind. Man wird Tabori fast ein unfreiwillig gehaltenes Monopol auf theatrale Holocaust-Repräsentationen zusprechen müssen.«

Jan Strümpel in seinem Buch »Vorstellungen vom Holocaust. George Taboris Erinnerungs-Spiele«, Wallstein-Verlag, Göttingen 2000.

Bei der Verleihung der Medaille der Goethe-Stadt Weimar erklärte George Tabori dem Auditorium fast vorwurfsvoll: »Was ich immer erklären muss: dass ich keine Heimat habe, dass ich ein Fremder bin und ein Fremder bleiben will und das meine ich nicht pathetisch, sondern als eine Beschreibung meines Lebens. Ein Schriftsteller, meiner Entscheidung, muss ein Fremder sein.«

Tabori ist in drei Sprachen aufgewachsen und hat in drei Sprachen gedacht – in englisch, ungarisch und deutsch. Seine Eltern erzogen ihn bis zu seinem siebten Lebensjahr katholisch und klärten ihn erst dann auf, dass er Jude sei.

Nach seinem Abitur in Budapest fuhr sein Vater nach Berlin, da er der Meinung war, dass es in Ungarn mehr Schreibende als Leser gäbe. Da Tabori schon sehr früh Neigung zum Schriftsteller zeigte, sollte er einen ordentlichen Beruf ergreifen, der Vater meinte, Hotelier wäre immer einträglich. Im Hotel »Adlon« Unter den Linden begann er eine Lehre als Hotelfachmann. Doch 1933 musste er Deutschland wieder verlassen. Er emigrierte nach London, Sofia, Istanbul, Jerusalem und Kairo. Immer wieder versuchte er, seine Eltern zu einer Emigration zu überreden, doch das gelang ihm nicht. 1944 wurde sein Vater in Auschwitz vergast. Seine Mutter konnte durch einen Zufall der Deportation nach Auschwitz entkommen. Die meisten seiner Verwandten wurden in deutschen Vernichtungslagern ermordet. Sein Leben lang ließ Tabori die Begünstigung, die er geschenkt bekommen hat, nicht los: »Warum habe ausgerechnet ich überlebt?« Der Grausamkeit des Faschismus entkommen zu sein, bewegte sein Denken, seine Stücke und seine literarische Botschaft. Sein intensives Fragen nach dem Zustandekommen von Auschwitz hat ihn nie losgelassen. Er zerstört Tabus, um nicht an ihnen zu ersticken. »Wer seine liebsten Menschen verloren hat, kann von dem Inferno Auschwitz nicht abstrahieren.« Er schreibt mehrere Dramen zum Thema.

In dem Stück »Mein Kampf«, 1987 uraufgeführt, begegnet der junge Kunststudent Hitler in einem Wohnheim zwei jüdischen Männern. Die Erinnerungsfähigkeit der beiden Männer ist für Hitler eine Bedrohung. Er will ihre Erinnerung zerstören, um die eigene auszulöschen. Tabori meint, die Auslöschung der Erinnerung ist ein »Mnenozid«. Das habe Hitler später mit dem Genozid bewirken wollen.

In dem Stück »Die Kanibalen« (europäische Erstaufführung 1969) stehen KZ-Häftlinge vor der Entscheidung, einen Mithäftling aufzuessen oder ihn in die Gaskammer zu transportieren. Die Provokation Taboris ist für den Zuschauer kaum erträglich. Aus der Geschichte seiner Mutter entsteht das Stück »My Mothers Courage« (uraufgeführt 1979 und 1996 von Michael Verhoeven verfilmt). Elsa Tabori erwischt den Zug, der nicht nach Auschwitz, sondern nach Budapest fährt. Ist das Glück, Zufall, Geistesgegenwart in Todesangst?

Christoph Hein schreibt zum 18. Oktober 2000 im Auftrage des BE ein Stück für Tabori zur Erinnerung an den Beginn der Deportationen der Berliner Juden, die am 18. Oktober 1941 begann: »Mutters Tag«. Der greise Tabori spielt den Sohn. Seine eigene Biographie, von der Kritiker meinen, dass er damit nicht fertig werde. Kann er das? Er will es nicht, er will weder Vergangenheit aufarbeiten wie ein Restaurator ein zerstörtes antikes Möbelstück noch sie bewältigen, wie Politiker proklamieren. Er will Geschichte in Erinnerung bringen und behalten. Die Erinnerung an die deutsche Geschichte bleibt für ihn kritisch: Die Mutter in diesem Stück sagt zu ihrem Sohn: »Ich sage immer, wenn der Koffer fertig gepackt und der Reisepass gültig ist, dann kann man auch in Deutschland unbesorgt leben.«

Hat Tabori doch noch eine späte Heimat im Berliner Ensemble gefunden, an dem Theater Brechts, den er als ersten ins englische übersetzte (Galilei 1947) und dessen Verständnis von Theater Tabori bestimmte?