Briefe aus dem Widerstand

geschrieben von Erhard Hexelschneider

5. September 2013

Edition des Haftbriefwechsels von Georg und Rosemarie Sacke

März-April 2008

Volker Hölzer: Georg und Rosemarie Sacke. Zwei Leipziger Intellektuelle und Antifaschisten. [Schkeuditz] 2004. 381 S., Euro 15.

Ders. (Hrsg.): »… Georg ist unschuldig …«. Der Haftbriefwechsel von Rosemarie und Dr. Georg Sacke 1934/1935. [Schkeuditz] 2007. 215 S., Euro 15.

Zu beziehen über die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V., 04107 Leipzig, Harkortstr. 10.

Georg Sacke (1902-1945), aus Russland stammender Deutscher, hatte 1921-1927 in Prag und Leipzig u. a. Sozialwissenschaften und Geschichte studiert und sich bei Friedrich Braun auf Osteuropageschichte spezialisiert. Sein besonderes Forschungsinteresse galt dem aufgeklärten Absolutismus während der Regentschaft von Kaiserin Katharina II. 1927-1933 arbeitete er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, dann als Privatdozent am Institut für Kultur- und Universalgeschichte der Universität Leipzig. In dieser Zeit lernte er die Lehrerin Rosemarie Gaudig (1904-1997) kennen, die Tochter des renommierten deutschen Reformpädagogen Hugo Gaudig. Beide heirateten im Oktober 1932. Aber ihr Glück sollte nicht lange dauern. Bereits am 1. April 1933 wurde der parteilose Georg auf Betreiben des Baltisten Gerhard Gerullis wegen seiner „marxistischen Auffassung historischer Probleme“ und seiner „positiven Einstellung zur Sowjetunion“ aus dem Universitätsdienst entlassen. In dieser Zeit suchte er Verbindungen zu antifaschistischen Kräften und unterstützte inhaftierte Gegner des Nationalsozialismus. Anfang Dezember 1934 wurde er deshalb wegen Vorbereitung zum Hochverrat verhaftet. Er musste fast ein Jahr in Untersuchungshaft einsitzen, zunächst in der Gefangenenanstalt Dresden und danach im KZ Sachsenburg, bis er vom Landgericht Leipzig am 1. November 1935 vom Verdacht des Hochverrats mangels Beweisen freigesprochen wurde.

In dieser Situation entstand ein umfänglicher Briefwechsel zwischen den Ehepartnern, eine für die Geschichte dieser Frühphase des antifaschistischen Widerstandes seltene Dokumentation, bestehend aus 135 Briefen. Sie dokumentiert die anfangs noch vergleichsweise guten Bedingungen einer an den Normen des bürgerlichen Strafvollzugs orientierten Haft, so dass Sacke auch unter diesen Umständen seine wissenschaftliche Arbeit fortsetzen konnte, so schrieb er einige Rezensionen und arbeitete an größeren Manuskripten. Die Briefe veranschaulichen aber auch die für ihn schwieriger werdenden Bedingungen beim Übergang in das KZ Sachsenburg. Mit dem Zwang zu körperlicher Arbeit wurden auch die Möglichkeiten, unter Haftbedingungen forscherisch tätig zu sein, erheblich eingegrenzt. Die Besonderheit dieses Briefwechsels besteht m. E. darin, dass die Innensicht des Häftlings und die Außensicht der in Freiheit, aber in Sorge und Furcht lebenden, damals noch weitgehend unpolitischen und deshalb in ihren Äußerungen oft naiven Ehefrau deutlich werden. Beide schreiben sich mit der „Schere im Kopf“ wegen der Gefängniszensur, aber auch, um dem Partner eher positive, ermutigende Eindrücke von sich selbst und der eigenen Situation zu vermitteln. Dennoch bleiben Missverständnisse nicht aus, was angesichts von Haft, limitierter Briefzahl und Trennungsschmerz der Jungvermählten nicht verwundert: die Stimmung beider befindet sich in einem steten Auf und Ab. Georg spricht an einer Stelle von Gedankenbriefen, „Briefe, die dich nicht erreichen“ (S. 45). Beide sind in der illegalen Arbeit noch wenig erfahren, deshalb darf man in den Briefschaften keine Übermittlung von Informationen in „äsopischer Sprache“ erwarten; es sind Briefe voller Gefühl und sachbezogener Mitteilungen. Deshalb ist in den Briefen oft auch das große Staunen spürbar, was ein Mensch alles ertragen kann und muss, der doch eigentlich nur ein kleines Quäntchen Glück beansprucht.

Georg fand danach lange Jahre keine Arbeit mehr. Versuche auf Emigration in die UdSSR scheiterten am Zögern der sowjetischen Behörden, vielleicht zum Glück für ihn, denn seine Brüder Leopold und Valentin wurden Opfer der Stalinschen Willkür. Erst im Herbst 1940 konnte er als Referent für Ost- und Südosteuropa im Welt-Wirtschafts-Institut Hamburg tätig werden. Seine Frau folgte ihm als Englischübersetzerin und betätigte sich nun ebenfalls aktiv im Widerstand. In die dreißiger und vierziger Jahre fällt ihre Zusammenarbeit mit bekannten Antifaschisten des mitteldeutschen und hamburgischen Raums, die die Aktivität der Sackes zu schätzen und nutzen wussten. Die Sackes wurden zu wichtigen Mittlern zwischen Intellektuellen und Arbeitern, denen sie ihr Spezialwissen in Schulungen vermittelten. Im Sommer 1944 wurden beide verhaftet und in die Konzentrationslager Fuhlsbüttel und dann Neuengamme überführt. Georg hielt den Todesmarsch nach Lübeck körperlich nicht aus und starb am 26. April 1945; Rosemarie überlebte und ging 1946 nach Leipzig zurück. Hier wurde sie die erste Direktorin der Arbeiter- und Bauernfakultät der Universität Leipzig und war später – nicht immer unumstritten – in weiteren Funktionen tätig, bevor sie hoch betagt am 19. April 1997 starb.

Volker Hölzer, Osteuropahistoriker in Leipzig, analysiert in beiden Bänden, der Doppelbiographie der Sackes und dem Briefband, alles erreichbare Material ausführlich und fundiert und findet Zugang zu neuen Quellen. Man erfährt sehr viel über die Zeit und ihre Menschen, auch wenn es dem Verfasser trotz aller Umsicht nicht immer leicht fällt, dieses reichhaltige Material zu bündeln. Insgesamt liegen hier bemerkenswerte Arbeiten über zwei deutscher Intellektuelle vor, deren Lebensschicksale in vieler Hinsicht exemplarisch den Widerstand gegen den Nationalsozialismus verdeutlichen und die neue Einsichten über die vielfältigen Facetten des Kampfes gegen das Naziregime vermitteln.