Das Morden geht weiter

geschrieben von Graeme Atkinson

5. September 2013

In Russland wachsen neofaschistische und rassistische Gewalt

März-April 2008

Der Artikel ist ein gekürzter Nachdruck aus Searchlight, September 2007, Übersetzung Cornelia Kerth

Die russischen Antifaschisten brauchen unsere Hilfe. Wer gegen Nationalismus und Faschismus Stellung bezieht, wird von Putins Regierung als „Extremist“ mit Nazis auf eine Stufe gestellt und gleichzeitig von gewalttätigen Nazigangs auf der Straße an Leib und Leben bedroht. Die Justiz reagiert kaum.

Die Antifaschisten sind mutig, aber den ca. 70.000 Skinheads hoffnungslos unterlegen. Flugblätter, Kampagnen und Rechtsanwälte kosten weit mehr Geld, als den Aktiven zur Verfügung steht. Deshalb ruft Antifa-Net zur Solidarität mit dem Russischen Solidaritätsfonds für Menschenrechte auf.

Spendenkonto: Russian Human Rights Solidarity Campaign, Branch Sort Code: 40-04-36, Konto-Nr.: 41 28 44 79, IBAN: GB76MIDL40033641284479, SWIFT CODE: MIDLGB22

Mitte August ging bei den Medien eine grausame Nachricht ein: Zwei maskierte und verkleidete Mitglieder einer bis dahin unbekannten „Nationalsozialistischen Partei Russlands“ (NSPR) hatte zwei Männer aus Daghestan und Tadschikistan in einem Wald gefesselt geknebelt und gezwungen, vor einer großen Nazi-Flagge auf die Knie zu gehen. Dann enthaupteten sie den einen und schossen dem anderen eine Kugel durch den Kopf. Auf mehreren faschistischen Websites stellten sie das Video ihrer grausigen Tat ins Netz.

Während die russischen Behörden keine Statistik über Hass-motiverte Gewaltdelikte führt, hat das SOVA-Zentrum in Moskau, das führende russische Analyseinstitut, für 2005 mindestens 31 rassistische Morde und Hass-motivierte Angriffe auf 415 Personen gezählt. Für 2006 werden 541 gewaltsame Hass-Attacken verzeichnet, darunter 54 Morde und die Kurve zeigt weiter nach oben: in den ersten 7 Monaten des Jahres 2007 hat das Zentrum 310 Fälle rassistischer Gewalt gegen Personen registriert, von denen 37 starben. Allein in Moskau wurden 24 Menschen ermordet, 93 verletzt.

Ein weiteres beunruhigendes Phänomen: Die Gewalt gegen junge Antifaschisten, Jugendliche aus dem alternativen subkulturellen Milieu und fortschrittliche Projekte hat seit Frühjahr 2007 einem Maß zugenommen, dass dies nur die Folge einer Kriegserklärung der russischen Faschisten gegen alle sein kann, von denen sie Widerstand vermuten.

Am frühen Morgen des 21. Juli überfiel der Mob der Nazi-Skins ein Anti-AKW- Protestcamp im sibirischen Angarsk aus dem Hinterhalt. Die Nazis griffen die in ihren Schlafsäcken liegenden Aktivisten mit Eisenstangen, Messern und Luftgewehren an. Der 21jährige Ilja Borodaenko starb im Krankenhaus an einer Kopfverletzung. Mindestens 9 andere Teilnehmer am Camp wurden schwer verletzt. Wenige Tage vor her hatten 20 Nazis eine Gruppe Jugendlicher überfallen, die Lebensmittel an die Obdachlosen von Novosibirsk verteilten. In Moskau und St. Petersburg laufen Jugendliche, die sich mit antifaschistischen Symbolen schmücken, zunehmend Gefahr, ins Visier des Feindes zu geraten. Meist bleibt die faschistische Gewalt ungestraft, weil Staatsanwälte und Untersuchungsrichter nur einen geringen Teil der Fälle verfolgen. Wenn sie etwas unternehmen, werden sie gegen „Hooliganismus“ aktiv, nicht nach Artikel 282 des Strafrechts, der Hass-motivierte Verbrechen unter Strafe stellt. Anfang August wurde Alexander Barkaschow, Gründer der verbotenen „Russischen Nationalen Einheit“, wegen gefährlicher Körperverletzung an einem Polizisten im Jahr 2005 zu einer 2jährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Barkaschow und drei weitere Nazis hatten ihr Opfer mit Schaufeln zusammen geschlagen als er Barkaschows Haus filmte. Obwohl der Moskauer Gebietsstaatsanwalt eine 4jährige Haftstrafe gefordert hatte, verließ Barkaschow das Gericht als freier Mann. Barkaschow ist ein offensichtlicher Nazi, dennoch war er hauptsächlich des „Hooliganismus“ angeklagt und davon freigesprochen worden.

Die mangelnde Konsequenz der Justiz wurde erneut deutlich, als das Gericht in St. Petersburg im August Andrej Schabalin zu 12 Jahren Haft verurteilte, weil er den antifaschistischen Aktivisten Timur Kacharava erstochen hat und bei einem Überfall auf Maxim Zgibai 2005 versucht hat, diesem umzubringen. Schabalin in und 6 andere Männer wurden wegen „Hooliganismus“ und Aufstachelung zum Rassenhass verurteilt. Drei davon wurden zu je 2 Jahren Haft verurteilt, die anderen erhielten Bewährungsstrafen.

Putin und seine Regierung sind sich über das Ausmaß der Hass-Verbrechen durchaus im Klaren. Dies hat er bei vielen Gelegenheiten öffentlich gesagt und gefordert, dass „Extremismus bekämpft werden müsse“. Die tieferen Probleme, die massivem Rassismus, Antisemitismus und anderen von Hass geleiteten Vorurteilen zugrunde liegen, werden nicht angegangen. Dieses Versäumnis leistet der ungebremsten Gewalt der Faschisten Vorschub.