Der Tag von Potsdam

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Die faschistische Machtübernahme und die evangelische Kirche

Mai-Juni 2008

Pfarrer Eberhard Bethge berichtete, dass Dietrich Bonhoeffer zu ihm gesagt habe: »So tief kann Kirche doch nicht sinken!« Selbst in der Grußbotschaft der Kirche für die Gemeinden in Berlin hieß es zu Ostern 1933, sie dankt »ihrem Führer und Retter aus schwerer Gefahr … in Überzeugung, daß die Erneuerung von Volk und Reich nur von diesen Kräften getragen und gerichtet werden kann, weiß die Kirche sich unter der Führung des neuen Deutschland dankbar verbunden. Sie ist freudig bereit zur Mitarbeit an der nationalen und sittlichen Erneuerung unseres Volkes …«

Der 21. März 1933 ist als »Tag von Potsdam« in die Annalen der deutschen Geschichte eingegangen. Als Meisterwerk Goebelscher Propagandainszenierung wurde der neu gewählte Reichstag in der Garnisonskirche eröffnet. Die von den Nazis selbst lancierte Brandstiftung im Berliner Reichstagsgebäude gehörte als Auftakt dazu. Bereits am 2. März, noch vor Bekanntgabe der Wahlergebnisse, hatte die Regierung beschlossen, die Tagung des neuen Reichtages in die Garnisonskirche nach Potsdam zu verlegen. Das stieß auf energischen Widerstand in der Berlin-Brandenburgischen Landeskirche, die das Vorhaben als Zweckentfremdung des Gotteshauses kritisierte. Doch auf Drängen von Otto Dibelius, dem Generalsuperindendenten der Kurmark, wurde ein Kompromiss ausgehandelt. Am 7.März fand ein Eröffnungsgottesdienst für die evangelischen Abgeordneten in der Nikolaikirche und für die katholischen in der Pfarrkirche statt. Aber der Staatsakt für alle Abgeordneten wurde am 21.März doch in der Garnisonskirche abgehalten, als Auftakt läuteten eine viertel Stunde lang die Glocken aller Potsdamer Kirchen. Damit hatten die Nazis erreicht, was sie für ihre bürgerliche Anerkennung brauchten.

Obwohl von Seiten der Religiösen Sozialisten seit Jahren in Wort und Schrift ein klares »Nein« zu Hitler und seiner Partei erklang, fanden diese bei den Vertretern von Kirchenleitungen, in christlichen Zeitungen und Kirchgemeinden kein Gehör. Wohl schon deshalb weil sie z.B. aus biblischer Überzeugung die Überwindung der Verarmung die Zügelung der Kriegsinteressen der Industrie für dringend nötig hielten. Die Parolen der neuen Kirchenpartei »Deutsche Christen« hatten sie in Tausenden von Flugblättern angeprangert: »… sie werden vom Evangelium reden, aber sie meinen damit ihr eigenes Evangelium des Rassehochmuts, der brutalen Vergewaltigung jeder anderen Meinung, der Verherrlichung des Kriegsgeistes und der militärischen Aufrüstung. Sie haben das Kreuz Christi verzerrt zum Hakenkreuz…Von den evangelischen Pfarrern,von denen sehr viele mehr oder weniger mit dem Faschismus sympathisieren, brauchen sie keinen Widerstand zu befürchten … So streckt Hitler seine Hände nach der evangelischen Kirche aus wie nach einer sicheren Beute und fühlt sich jetzt schon als der künftige Herr der Kirche.«

Doch in der Predigt von Dibelius beim Staatsakt war genau das Gegenteil dieser Warnung zu hören: »… und wenn es um Leben und Sterben der Nation geht, dann muß die staatliche Macht durchgreifend und kraftvoll eingesetzt werden, es sei nach außen oder nach innen. Wir haben von Doktor Martin Luther gelernt, daß die Kirche der rechtsmäßigen staatlichen Gewalt nicht in den Arm fallen darf, wenn sie tut, wozu sie berufen ist. Auch dann nicht, wenn sie hart und rücksichtslos schaltet. Wir kennen die furchtbaren Worte, mit denen Luther im Bauernkrieg die Obrigkeit aufgerufen hat, schonungslos vorzugehen, damit wieder Ordnung im Lande werde… Wenn der Staat seines Amtes waltet, gegen die, die die Grundlagen der staatlichen Ordnung untergraben, gegen die vor allem, die mit ätzendem und gemeinen Wort die Ehe zerstören, den Glauben verächtlich machen, den Tod für das Vaterland begreifen dann walte er seines Amtes in Gottes Namen!«

Keine Kritik an der eindeutig angekündigten Rassenpolitik der Nationalsozialisten, kein Wort der Solidarität mit den nach dem Reichstagsbrand Verhafteten und Ermordeten, kein Protest gegen die ersten öffentlichen Ausschreitungen gegen Juden. Vom goldenen Lesepult der Garnisonskirche aus bekannte Hitler vor den Anwesenden und Ra-diohörern (der Festakt wurde von allen deutschen Sendern übertragen!): »Die nationalsozialistische Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtige Faktoren der Erhaltung unseres Volkes«.

Doch so wie die Religiösen Sozialisten hätten auch alle Christen, deren Gewissen an biblische Friedenstexte gebunden war, diesen Tag von Potsdam als Trauertag durchschauen und den grandiosen Glockenschlag in Potsdam als Totengeläut für die Weimarer Republik begreifen können. Erst recht als bekannt wurde, dass Pfarrer in Festgottesdiensten der Berliner Garnison im Schlüterhof, im Berliner Dom, der Marienkirche und in Festgottesdiensten der SA »Gott« für diese Wende in Deutschland als für seine gnädige Fügung gedankt hatten.

Noch 1933 gründet Martin Niemöller den »Pfarrer-Notbund«, langsam formierte sich Protest unter Christen und 1934 tritt die Synode der Bekennenden Kirche in Barmen zusammen. Es war ein steter Tropfen aber auf einen immer heißer werdenden Stein.

Welche Interessen haben es wohl vermocht, daß ausgerechnet Otto Dibelius nach der Befreiung vom Faschismus 1945 von den Alliierten als Gewährsmann der Bekennenden Kirche angesehen wurde, die in den westlichen Besatzungszonen als »Widerstandsbewegung gegen den Faschismus« anerkannt worden war.

Als Freund Adenauers waltete Dibelius alsbald seiner neuen kirchenleitenden Ämter.