Die Eigenen und die Fremden

geschrieben von Regina Girod

5. September 2013

Eine Ausstellung im DHM nähert sich dem Phänomen
Fremdenfeindlichkeit

Jan.-Feb. 2010

Fremde? Bilder von den »Anderen« in Deutschland und Frankreich seit 1871

Noch bis zum 31. Januar in der Ausstellungshalle des Deutschen Historischen Museums, Unter den Linden 2, 10117 Berlin

Feiertage sind eine gute Gelegenheit, wieder einmal ins Museum zu gehen. Also besuchte ich im lichtdurchfluteten Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums die Ausstellung »Fremde? Bilder von den ›Anderen‹ in Deutschland und Frankreich seit 1871«, die noch den ganzen Januar über läuft. Ich nahm an, dass sie sich vor allem mit dem gegenseitigen Bild von Deutschen und Franzosen beschäftigen würde. Weit gefehlt. Es geht tatsächlich um »Fremde« jeder Art. Die Zuschreibung, wer als »fremd« und »anders« angesehen wird, hängt von gesellschaftlichen und historischen Kontexten ab, ist aber oft die Grundlage für Ausgrenzung, Verfolgung und Rechtlosigkeit. So ist der größte Teil der über zwei Stockwerke ausgedehnten Ausstellung mit Exponaten über Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit belegt, darunter wirklich schockierenden Zeugnissen menschenfeindlicher Ideologien. Die Gliederung der Ausstellung ist ebenso einfach wie fragwürdig. Auf der einen Seite historische Etappen, tatsächlich den immensen Zeitraum von 1871 bis 2008 umfassend, auf der anderen Seite jeweils nebeneinander Tafeln für Deutschland und Frankreich in den behandelten Jahren. Eine Flut von Informationen wird auf diese Weise nonhierarchisch nebeneinander abgehandelt. In Bezug auf den Völkermord an den Juden und den Sinti und Roma erschien mir diese Art der Präsentation äußerst problematisch – das Einzigartige des Zivilisationsbruchs wird auf diese Weise nicht mehr sichtbar.

Gerade bei umfangreichen Ausstellungen entscheidet die Konzeption über die Botschaft. Was also könnte der Betrachter aus dieser Ausstellung mitnehmen, wenn er versucht, die Fülle des Gesehenen mit einer geistigen Klammer zu versehen?

Vielleicht das:

1. Fremdenfeindlichkeit ist eine Art natürlicher Reflex des Menschen, sie äußert sich zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Formen, aber es gibt sie immer und überall.

2. Fremdenfeindlichkeit wird für politische Ziele genutzt und missbraucht, nach Aussage der Ausstellungsmacher zum Beispiel zur »Konstruktion und Verfestigung nationaler Selbstdefinitionen«, im Klartext: Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit gehören zusammen. Immer wenn es gilt, »die Nation zu retten«, werden Fremde automatisch zu Feinden und dann oft auch offiziell entrechtet, vor allem natürlich im Krieg.

3. Fremdenfeindlichkeit trägt auch im Frieden die Tendenz zu Gewaltexzessen (Pogromen) in sich. Die Staatsmacht kann in solchen Fällen hilflos sein, so beschreibt jedenfalls der Ausstellungstext die »Ausschreitungen« 1991 in Rostock Lichtenhagen. Sie kann aber auch selbst Träger der Gewalt sein, wie bei der ebenfalls dokumentierten Demonstration von Algeriern in Paris 1961, bei der die Polizei in die friedliche Menge schoss und mehr als 200 Menschen tötete.

4. Besonders im letzten in der Ausstellung dokumentierten Zeitraum, von 1983 bis 2008, gibt es sowohl in der BRD als auch in Frankreich eine breiter werdende Bewegung aus gewerkschaftlichen, kirchlichen und anderen Kreisen, die Fremdenfeindlichkeit entgegentritt und sich für die Rechte von Immigranten (auch der »Illegalen«) einsetzt, in vielen Fällen gegen die offizielle Staatspolitik. Es wird also, so die Botschaft, langsam besser. Auf der anderen Seite wird in der westlichen Welt gerade ein neues Feindbild aufgebaut: der Islam. Hetzerische »Spiegel-Titel«, Kopftuchstreit und Terrorhysterie werden in der Ausstellung deutlich kritisch behandelt.

Doch warum ist das alles so? Darauf gibt es keine Antwort. Die Ausstellung begnügt sich damit, in unendlichen Facetten zu dokumentieren, wie seit 140 Jahren »Fremde« karikiert, entwertet, ausgegrenzt, entrechtet und verfolgt wurden – bis hin zum Völkermord. Bei all dem drängt sich doch die Frage, in wessen Interesse das geschah – wer davon profitiert hat – geradezu auf. Doch sie wird nicht gestellt, die Ausstellungsmacher verbleiben beharrlich an der Oberfläche des Phänomens. Im Kontext anderer, zur Zeit gängiger Geschichtsdeutungen, wird deutlich, dass das kein Zufall ist, sondern Programm. Hitler kam wie ein Dämon über die Deutschen und Fremdenfeindlichkeit entsteht aus Unwissenheit, Dummheit und Bosheit. Als guter Mensch muss man sich gegen sie wenden, dann nehmen am Ende sogar die Politiker Vernunft an. Schön wärs.