Ein Generationswechsel

geschrieben von Hannelore Rabe, Rostock/Barth

5. September 2013

Oder: Wie erreichen wir junge Menschen mit unserer Botschaft?

März-April 2007

Wenn wir als Antifaschisten mit Jugendlichen und Schülern über die Lehren aus der Zeit der Nazidiktatur für die Gegenwart diskutieren, stellen wir häufig fest, dass die jungen Leute gar nicht wissen, wovon wir reden. Uns fehlt der »gemeinsame Zeichenvorrat«. Begriffe und Ereignisse, die für uns selbstverständlich sind, können sie inhaltlich, oft sogar zeitlich, nicht einordnen. Wir sprechen von der Weimarer Republik, dem Sender Gleiwitz, dem Spanischen Bürgerkrieg, dem Reichstagsbrand, von Stalingrad – doch sie können damit wenig anfangen.

Bei interessierten Gymnasiasten oder Projektgruppen gelingt es uns vielleicht noch, dass sie die Zeit bis 1945 kritisch hinterfragen, schaffen wir es, das Vermächtnis der Antifaschisten wach zu halten und Schlussfolgerungen für die Gegenwart zu finden. Doch Real- und Hauptschüler hören uns im günstigen Falle diszipliniert zu und finden unsere »Geschichten« spannend. Haben sie kein Interesse an dem schwierigen Thema? Sind sie oberflächlich und nur noch Produkte der »Spaßgesellschaft«? Finden wir nicht den richtigen Zugang, den richtigen Ton? Eine Ursache sind die fehlenden Geschichtskenntnisse über die Zeit bis 1945. Den Schülern werden in den wenigen Unterrichtsstunden, die für diese Epoche zur Verfügung stehen, in der Regel nur ausgewählte Fakten und kaum gesellschaftliche Zusammenhänge über die Nazidiktatur vermittelt.

Wo und wie oft haben Jugendliche die Möglichkeit, etwas »Antifaschistisches« zu erleben? Wenn einmal ein Zeitzeuge zu ihnen spricht? Wenn Lehrer, vielleicht auch Eltern, mit Mädchen und Jungen ein ehemaliges KZ oder eine Ausstellung besuchen? Wenn über einen gemeinsam gesehenen Film gesprochen wird? Wenn an der Schule oder von öffentlichen Trägern ein Projekt gefördert wird? In der Regel profitieren Gymnasiasten davon. Was ist mit den Hauptschülern? Wer hat zum Beispiel den Mut, mit schwierigen Jugendlichen für zehn Tage nach Auschwitz zu fahren, wie dies seit 15 Jahren »Für die Zukunft lernen – Verein zur Erhaltung der Kinderbaracke Auschwitz-Birkenau e.V.« tut? Die Leiter dieses Projektes können einschätzen, was mit diesen Jungen und Mädchen möglich und was nicht möglich ist. 2006 drehten diese den Film »Jugendliche sehen Auschwitz«. Wir sahen ihn in Graal-Müritz – so können nur junge Menschen einen Film aufnehmen, die vor Ort mit geschichtlichen Tatsachen konfrontiert aktiv werden und etwas erleben, bei dem sie in Konflikte geraten und sich entscheiden müssen.

Seien wir ehrlich; die meisten Schüler, vor allem aus den Real-, Haupt- und Produktionsschulen, erreichen wir kaum. Aber gerade hier finden wir die Sympathisanten der rechten Szene. Das registrieren wir seit Jahren auch in Mecklenburg-Vorpommern. Fast alle Bemühungen, kontinuierlich Einfluss auf Haltungen und das Handeln der Jugendlichen zu bekommen, scheiterten. Sicher gibt es viele Gründe, die zu der jetzigen Situation führten. Parteien und Organisationen versprechen jetzt, in Klausur zu gehen. Aber wir, was hätten wir anderes tun können? Es gibt unterschiedliche Ursachen für das Desinteresse, für die Gleichgültigkeit vieler (zu vieler) Kinder und Jugendlicher. Auf welche der Ursachen könnten wir als Organisation der Antifaschisten Einfluss nehmen?

Etwa auf die Schul- und Lehrbücher (soweit überhaupt noch Bücher benutzt werden), auf die Stundenzahl im Fach Geschichte, die für die Behandlung der Zeit der Nazidiktatur in den einzelnen Klassenstufen tatsächlich zur Verfügung stehen, auf die Lehrerbildung? Den Antifaschisten in Frankreich ist dies nicht gleichgültig. In einer Ausgabe der antifa berichteten wir darüber. Bei der Weitergabe antifaschistischer Werte findet ein Generationswechsel statt. Wie ist die Gesellschaft, wie sind wir als Antifaschisten vorbereitet, dass es kein Perspektivenwechsel wird? Welche Erfahrungen haben andere VVN-BdA-Basisgruppen? Wie werden wir von jungen Antifa- Gruppen gesehen? Was erwarten sie von uns?

Diese Zeitschrift, aber auch unsere Internet-Seite könnten ein Forum für die Diskussion darüber werden.