Ein Widerständiger

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Willi Sitte – Partisan, Künstler, Aufklärer

Juli-Aug. 2007

Zur Erinnerung an die Befreiung vom Mussolini- und Hitlerfaschismus treffen sich in jedem Jahr im Juli Partisanen Italiens mit europäischen Mitkämpfern. Gern habe ich mit der Gruppe unserer württembergischen VVN-BDA als Gast daran teilgenommen. Am Felsendenkmal für die Partisanen, die in den Bergen umgekommen sind, sprach mich ein italienischer Veteran an: „Wenn sie aus Deutschland sind, dann kennen Sie doch Willi Sitte?“. Ja, Willi Sitte ist einer der bedeutendsten Maler und Graphiker der DDR. Und der Italiener fiel mir freudig ins Wort: “ … und als deutscher Deserteur kämpfte er auf unserer Seite, ein Genosse, ein guter Kommunist! Er ist als deutscher Soldat zu uns übergelaufen, hat für uns Flugblätter geschrieben, gedolmetscht und mit uns für die Befreiung Italiens und Deutschlands gekämpft.“ Seine italienischen Kameraden erinnern sich, wie er als 23-Jähriger in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges in einem kleinen italienischen Dorf für sie den „Totentanz des Dritten Reiches“ gemalt hat. Mir kommen Bilder von ihm vor die Augen „Lidice“ ein Diptychon zur Erinnerung an das Dorf in Tschechien, das von der deutschen Wehrmacht vernichtet wurde als Vergeltung für das Attentat auf Heidrich. Dieses Bild steht auch für das Massaker von Oradour in Frankreich oder für Kalavrita in Griechenland. Ich denke aber auch an das Bild „Freiheitsgöttin über Vietnam“ von 1970. Sitte hat sein Leben lang bis heute gegen Krieg und Faschismus gemalt. „Memento Stalingrad“(1957) und „Kampf der Thälmannbrigade in Spanien“(1961) sind bewegendes Gedenken an den bewaffneten antifaschistischen Widerstand.

In dem Sonderheft „Ikarus“ der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde, das als „Katalog (k)einer Ausstellung zum 80. Geburtstag Willi Sittes“ als Protest anlässlich des Ausstellungsverbots am Nürnberger Germanischen Nationalmuseum erschienen ist, ist Sittes politisches Werk in dem Beitrag von Peter Michel „Zeitsprünge – und ein Kontinuum – Gedanken zum Politischen im Werk Willi Sittes“ akribisch und eindrücklich beschrieben.

Der unermüdliche Widerstand gegen Unrecht, Ungerechtigkeit und Dummheit, den Willi Sitte fünf Jahrzehnte aktiv malend lebt, wird auch in dem 1995 im Dingsda-Verlag von Joachim Jahns herausgegebenen Bildband „Herr Mittelmaß 1949 bis 1995“ überzeugend dokumentiert. In seinem einleitenden Beitrag sagt Wolfgang Hütt: „Begegnungen des Zeichners und Malers Willi Sitte mit dem ‚Herrn Mittelmaß‘ sind sein Protest gegen die ‚Wendefähigkeit des Herrn Durchschnittsmenschen‘, wie sie Carl von Ossietzky schon zur Weimarer Republik beschrieben hat“.

Er stellt menschliche Schwächen dar, macht auf seine Weise ironisch Charakterlosigkeit und sogar Gesinnungslumperei anschaulich. Diese gesellschaftlich aufdeckenden Themen kennzeichnen schon seit 1963 seine künstlerischen Aussagen. Brechts „Rundköpfe und Spitzköpfe“ inspirierten ihn zu dem Bild mit dem Titel „Die aneinander vorbeireden“. 1977, angeregt von Majakowskis Gedicht „Die auf Sitzungen Versessenen“ übt er als prominenter Genosse ebenso unübersehbar wie nachdrücklich Parteikritik.

Nach der Übernahme der DDR durch die BRD ist eine seiner kritischen Metaphern Herr Mittelmaß in der neuen Gesellschaft. Er beschreibt in seinen Bildern, wie Herr Mittelmaß Morgenluft wittert, wie er stets Anschluss findet, weil er behende die Fahne wechselt, wie er zufrieden im Sessel sitzt, wie er die Avantgarde – Weltkunst – bewundert und er nun endlich für sich den aufrechten Gang entdeckt. Besonders eindrücklich für mich ist das Bild „Einer trage des anderen Last“ (1992) als gelungene Parodie auf das bekannte Bibelwort.

In diesem Band wird deutlich, wie Willi Sitte seine politische Überzeugung unbeirrt immer wieder in Bilder umsetzt. Er resigniert nicht, sondern analysiert die über ihn gekommene Gesellschaft. Mit Ironie und Satire fordert er als Zeitzeuge zum Nachdenken, Weiterdenken, und zum schöpferischen Widerstand heraus für eine Welt, die solidarisch das Leben und Überleben aller ermöglicht.