Einsamkeit im Widerstand

5. September 2013

Von Kurt Pätzold

Nov.-Dez. 2011

Die Geschichte des deutschen antifaschistischen Widerstandskampfes ist die Geschichte eines Wirkens unter den schwierigsten objektiven und subjektiven Bedingungen, und dass sie in so hohem Grade ein Opfergang wurde, ist eben diesen Bedingungen geschuldet gewesen. Sich den Reihen dieser Minderheit anzuschließen, dazu gehörten Charakter- und Überzeugungs- und, auch strenge Rationalisten und Atheisten sollten sich nicht scheuen, das zuzugeben, zudem noch Glaubenskräfte.

Die antifaschistischen Widerstandskämpfer in Deutschland waren isoliert, ungleich stärker als die in den besetzten Ländern, das meint meine Wendung, sie waren einsame Kämpfer. Sie lebten in einer feindlichen oder doch sie ablehnenden Umwelt. Und auf diese Situation waren sie nicht vorbereitet. Ihre Vorstellungen vom weiteren Gang der deutschen Entwicklung, die sie nach dem 30. Januar 1933 hegten, wichen weit von dem ab, was sich dann tatsächlich ereignete. Sie hatten gehofft, dass die Diktatur in eine Krise bald geraten und dass dies zu einer Entlarvung der Machthaber und der Abwendung eines großen Teils ihrer Gefolgschaft führen werde. Das Gegenteil trat ein.

Das Regime, das schon bei seinem Start die Hälfte der deutschen Wahlbevölkerung hinter sich gebracht hatte, festigte seine Massenbasis. In anderen bürgerlichen Staaten wünschten sich Politiker einen solchen Grad von Zustimmung, Unterstützung, Beifall zu erreichen. Immer wieder wurden jene Bindungen demonstriert, die schließlich in der Losung gipfelten »Ein Volk – ein Reich – ein Führer«, die 1938 den Anschluss Österreichs feierte.

Als Mussolini Deutschland 1937 besuchte, hallte es durch die Straßen Münchens, Berlins und Essens »Duce! Duce! Duce!« Immer war da Manipulation im Spiel, nie fehlte mehr oder weniger sanfter Druck, doch nie war das nur eine Mache der Machthaber.

Und dann im Kriege erreichte die Begeisterung eine hysterische Stufe, als Hitler, der Sieger, aus Frankreich nach Berlin zurückkehrte. Lieferte da nicht jeder Tag Anstöße und Gründe sich zu fragen: »Ist denn diesen Leuten überhaupt zu Verstand zu helfen? Müssen sie nicht erst die Rechnung mit verursachen, die sie dann werden bezahlen müssen?« Die Literatur über den Widerstand berichtet wenig davon, dass diese Fragen gestellt wurden, nichts von dem massenhaft zu habenden Stoff, aus dem die Resignationen gemacht sind. Am ehesten haben noch Spielfilmsequenzen davon ein Bild gegeben.

Von dieser Umwelt in einem faschisierten Deutschland ist in unseren Berichten über den Widerstandskampf wenig zu hören und zu lesen. Wird sie aber mit in Betracht gezogen, erhebt sich die Frage nach den Resultaten dieses Kampfes und da lautet das Generalfazit: diese Mehrheit hat, wie die Machthaber von ihr erwarteten, ausgehalten und durchgehalten, sie ist ihnen, wenn auch nicht marschierend so doch gefolgt, bis nahezu alles in Scherben gefallen war.

Was die Widerstandskämpfer in Nazideutschland taten, war als ein Wirken in die Gegenwart gedacht, erwies sich jedoch ungleich mehr als eine Investition in die Zukunft. Ihr Verdienst wird deutlich, wenn auch nur ein Moment lang überlegt wird, wie die deutsche Nachkriegsgesellschaft sich befunden haben würde, ohne die überlebenden Antifaschisten und das Wissen um die Toten. Es ist fast vergessen, dass es im Kriege und besonders seit der Aufdeckung der Massenverbrechen in den USA Vorschläge gab, die auf der These fußten, die Deutschen seien als Volk oder als Nation allesamt verderbt und verdienten deshalb unter den Völkern für alle absehbare Zukunft eine besondere Behandlung, damit sie nicht wieder Unheil anrichten könnten. Die deutschen Widerstandskämpfer waren die leibhaftige Widerlegung dieser Konstruktion. Vor allem aber waren sie in Ost wie in West die Aktivisten (und nicht nur) der ersten Stunde. Sie hatten, ist später oft gesagt worden, die Ehre der deutschen Nation gerettet. Diese Ehre ist ein etwas mystisches Ding. Jedenfalls hatten diese Frauen und Männer, Deutsche, bewiesen, dass in ihren Adern so wenig ein besonderer Saft fließt wie in denen der Juden.

Von ihnen lässt sich jene Haltung mit auf den Weg nehmen, die Peter Hacks in der Anekdote »Optimismusdebatte« beschrieb: »Kann man überhaupt etwas tun, sagte ein Mitkämpfer, der es satt hatte. Tun wir denn nichts? fragte Hacks. Was immer wir tun, sagte der Freund, es zeitigt keine Folgen. Wer weiß, sagte Hacks. Heute nein, morgen doch.«