Erinnerungen für morgen

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Ehrung für Bernhard Heisig zum 85. Geburtstag

Mai-Juni 2010

Bernhard Heisig, Eine unendliche Geschichte

Hg. von Rüdiger Küttner. Verlag Faber&Faber Leipzig, 100 Abbildungen, 29,80 Euro

Galerie Berlin, Auguststraße 19, 1117 Berlin: Bilder, Zeichnungen und Graphiken, vom 01.04. bis 15.05.2010, Di bis Sa 12.00-18.00 Uhr

Aus der Pressemitteilung des Deutschen Bundestages: »Der Kunstbeirat hat über die Kampagne gegen diese Nominierung (Heisig) auf seiner Sitzung am 24. März 1998 diskutiert und beschlossen, an der Nominierung Heisigs festzuhalten. Ausschlaggebend für die Aufnahme der Gespräche mit Bernhard Heisig ist das formale und inhaltliche Niveau seiner Malerei, insbesondere seine engagierte Auseinandersetzung mit Themen deutscher Geschichte.«

Zum 85. Geburtstag von Bernhard Heisig erschien im Verlag Faber&Faber Leipzig eine Festschrift: »Bernhard Heisig, eine unendliche Geschichte.« Sie ist die Retrospektive eines Künstlerlebens. 50 Freunde, Schüler, Kollegen, Schriftsteller, Kunsthistoriker und Galleristen, die ihn seit Jahren kennen und ihm nahe stehen, schreiben über ihn, über seine Bilder, seine Lehrtätigkeit, sein künstlerisches Wirken und seinen Einfluss auf Politik und Gesellschaft. Ein weit gefächertes Kompendium seines Schaffens wird berührt. Der Herausgeber, Rüdiger Küttner, ist Kulturwissenschaftler, Kunsthändler und Mitinhaber der Galerie Berlin in der gerade eine Ausstellung von Malerei, Zeichnungen und Graphiken von Bernhard Heisig läuft.

Vorgesehen waren für das Buch – gemäß der Lebensjahre Heisigs – 85 Bilder. Küttner nimmt die Tatsache, dass es nun 100 sind, als Option für die Zukunft. Das letzte Bild, entstanden 2010, nennt Heisig »Selbst«. Eine Zusammenstellung der über Heisig erschienen Bücher und ein Verzeichnis seiner Illustrationswerke zeigen das große Interesse für diesen engagierten Künstler. Für jüngere Leser wird die Vita von Heisig, die Hans Jürgen Papies in Zeitabschnitten und im politischen und gesellschaftlichen Kontext festgehalten hat, interessant und wichtig sein. Leider endet sie – wohlbedacht – 1991. Mit diesem Buch ist nicht nur für Heisig ein wunderbares Geburtstagsgeschenk gelungen. Sondern auch ein Stück Kunst- und Zeitgeschichte für die Zukunft festgehalten. Denn, so schreibt Eduard Beaucamp über das Schaffen und die künstlerische Botschaft von Heisig: »Kein anderer Künstler hat in so umfassender Weise malend über die deutsche Geschichte, über Pathologie und Schuld, über menschliche Verführung, Lebenslügen, Abgründe und Gewalttätigkeiten nachgedacht.« Beim Betrachten der Bilder sehen wir die Grausamkeiten, die Krieg verursacht. Wir sehen zerfetzte Leiber und zerstörte Natur. Heisig hat Krieg hautnah erlebt und überlebt. Als 16jähriger hat er sich freiwillig zur SS gemeldet, hat die »Panzerschlacht« bei Caen, die »Ardennenschlacht«, den Kampf um die »Festung Breslau«, die Gefangenschaft und das Leiden mit seinen Kameraden bei Hunger und Frost durchgestanden. Er konnte diese Kriegsbilder nicht vergessen. Er hat sie sich von der Seele gemalt. Für ihn trägt jeder Soldat das Kainszeichen auf der Stirn. Heisig wird die Frage: »Wo ist dein Bruder Abel?« nicht los. Soldaten sind für ihn Mörder. Nach dem überlebten Krieg wusste er, dass er alles tun wird, dass es keinen Krieg mehr geben darf. Er klärt mit seiner Kunst über den Krieg auf.

Christoph Hein schreibt: »Sein beharrliches Gedächtnis geht gegen die Beharrlichkeit des Vergessens an. … Denn Kunst, seine Kunst, alle Kunst ist doch nichts anderes als Gedächtnis. …« Für ihn ist der erlebte Faschismus der Abgrund von Leben. Diesen Abgrund malt er. Für ihn ist der Hitlerfaschismus ständiger Kontext zu seinem Lebenstext. Für ihn sind die jüdischen Kollegen Max Liebermann und Felix Nussbaum ständig präsent. Er malt sie und gibt ihnen in Bildern Präsenz. Für ihn dürfen sie nicht tot sein. Nicht vergessen werden.

Für mich als Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Mitglied des Kunstbeirates beim Bundestagspräsidenten war es eine große Freude, dem Beschluss zuzustimmen, bei Bernhard Heisig als »Ostkünstler« ein Bild in Auftrag zu geben für die Neugestaltung des Bundestages, als dieser von Bonn in den umgestalteten Reichstag zog. Ich ahnte nicht, wie hart die Auseinandersetzung dazu werden würde. Heisig wurde vorgehalten, ein staatstragender Künstler der DDR gewesen zu sein, weil zum Beispiel ein Bild von ihm im Palast der Republik hing. Mit dieser Privilegierung habe er seine Legitimität als Künstler in einem neuen demokratischen Deutschland verspielt. Ein heftiger Streit brach aus. Ihm wurde seine SS-Zugehörigkeit als 16-Jähriger nachgetragen. Als sich der Kunstbeirat davon nicht beeindrucken ließ, brachte der Spiegel (Nr. 52 – 1997) Unterlagen der Gauck-Behörde über Gespräche beim Porträtmalen von Helmut Schmidt in Heisigs Atelier. In der Auseinandersetzung ging es nicht um die antifaschistische Kunst von Heisig, sondern um die Diffamierung eines angesehenen DDR-Künstlers. Heisig hat intensiv an seinem Auftrag gearbeitet. Mehrere Entwürfe sind entstanden. Der letzte »Zeit und Leben« (Öl auf Leinwand, 124,5x 591,5 cm) wurde einstimmig vom Kunstbeirat angenommen. Das Bild hängt jetzt in der Abgeordnetencafeteria. Immer wieder gibt es Kritik an der Platzierung. Für mich gibt es keinen besseren Platz, denn die Cafeteria ist der meistbesuchte Raum im Deutschen Bundestag und das Bild wird ständig gesehen.

Es bleibt mit Küttner zu sagen: »Wir danken Bernhard Heisig sehr herzlich für all das, was er uns und so vielen angetan hat, Erkenntnis, Erleuchtung und Genuss«.