Es wird weiter abgeschoben

geschrieben von Die Fragen stellte Regina Girod

5. September 2013

antifa-Gespräch mit Kim Ayalan, Sprecherin der Mecklenburger
Kampagne »Stop it!«

Jan.-Feb. 2013

Der Naziaufmarsch konnte erfolgreich behindert werden, auch wenn sich die Strategie der Sicherheitsbehörden von vornherein darauf richtete, u.a. durch Alarmierung von Busunternehmen die Anreise der Gegendemonstrantinnen und -demonstranten zu unterbinden oder so lange zu verzögern, bis ein effektiver Protest gegen die Nazis kaum noch möglich gewesen wäre.

antifa: Für den 9. November hatte die NPD einen Fackelmarsch zum Flüchtlingsheim in Wolgast angemeldet. Ein breites Bündnis von antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, darunter auch die VVN, hatte dagegen mobilisiert. Wie ist die Sache ausgegangen?

Kim Ayalan: Die Proteste im Vorfeld hatten bereits dazu geführt, dass den Nazis die Fackeln verboten und auch die Demonstrationsroute in Richtung Flüchtlingsheim nicht genehmigt wurden. Letzten Endes sind sie zwar marschiert, haben aber viel Gegenwind bekommen. Wegen der Blockaden konnten sie erst später als geplant anfangen und sind auch nicht sehr weit gekommen. Es gab mehrere lautstarke Blockadepunkte mit hunderten Menschen, die die Neonazis unter anderem zwischenzeitlich zu einem Stillstand ihres Marsches zwangen, die Route stark verkürzten und ihre Redner nicht ungestört hetzen ließen

antifa: Wie hat sich die Stadt verhalten? Der Bürgermeister von Wolgast hatte ja im Frühherbst bei einem unrühmlichen Fernsehauftritt gezeigt, dass Flüchtlinge dort alles andere als willkommen sind.

Kim Ayalan: Die Stadt hat sich lange zurückgehalten, dann hat sie zu einem Lampionumzug in dem Viertel aufgerufen, in dem das Heim liegt. Der hat auch unter Teilnahme vieler Wolgasterinnen und Wolgaster stattgefunden. Da sich der Naziaufmarsch so lange verzögerte, sind eine ganze Reihe von ihnen noch zu den Blockaden gekommen. Das war vielleicht der größte Erfolg an diesem Tag: Die Blockierer waren bunt gemischt, es waren nicht nur junge Menschen da und nicht nur jene, die mit Bussen aus Hamburg und Berlin angereist waren, sondern genauso Einheimische und Leute aus der Umgebung.

antifa: Wie ging es den Bewohnern des Flüchtlingsheimes an dem Tag?

Kim Ayalan: Der Betreiber hatte sie gebeten, an diesem Tag entweder weg zu fahren, oder das Heim nicht zu verlassen. Doch begründet wurde das den Flüchtlingen nicht. Viele wussten nicht was an diesem Tag in Wolgast vor sich ging. Einige, die die Heimbewohner an diesem Tag besucht hatten und sie über das, was ein paar Hundert Meter weiter vonstatten ging, auf dem Laufenden halten und sich mit ihnen solidarisch zeigen wollten, wurden am Nachmittag vom Betreiber rausgeschmissen. Eine Mahnwache vor dem Heim wurde uns ebenfalls nicht erlaubt, offensichtlich wollte man keine Solidaritätsaktionen.

antifa: Nachdem die Tafel, die wir zur Erinnerung an die Pogrome in Lichtenhagen im August am Rostocker Rathaus angebracht hatten, gestohlen worden war, wurde am 17. Dezember eine neue Tafel angebracht. An der Veranstaltung hat sich auch »Stop it!« beteiligt. Warum?

Kim Ayalan: Wir fanden das wichtig, weil die Tafel die erste öffentliche Erinnerung an die Pogrome überhaupt war und weil es in dieser Frage Kontinuitäten bis heute gibt. Damals wie heute sind die Roma-Flüchtlinge besonders bedroht. Derzeit bekommen sie keine Möglichkeit auf ein faires Asylverfahren, da ihre Anträge von vornherein als »offensichtlich unbegründet« abgestempelt werden. Heute kommen die meisten Roma-Flüchtlinge in MV nur bis zum zentralen Auffanglager in Horst und werden von dort gleich wieder nach Serbien, Kosovo und Mazedonien abgeschoben. Am 19. November hat zum Beispiel eine Massenabschiebung aus Horst nach Serbien stattgefunden. Wir haben versucht, mit einer symbolischen Blockade der Busabfahrt darauf aufmerksam zu machen

antifa: Das heißt, in MV gibt es, genau wie in Berlin und Brandenburg, keinen Winterabschiebestopp?

Kim Ayalan: Nein, so etwas gibt es nicht. Die Grünen und die Linken haben im Landtag dazu einen Antrag eingebracht, doch der wurde abgelehnt. Als die Innenministerkonferenz im Dezember in Warnemünde getagt hat, haben wir gefordert, dass sie dort einen Winterabschiebestopp beschließen, doch noch nicht einmal die Medien haben das aufgegriffen. Wir bleiben an dem Problem trotzdem weiter dran.

antifa: In Güstrow hört man neuerdings auch von Widerstand gegen ein geplantes Flüchtlingsheim. Die Situation wird also nicht besser?

Kim Ayalan: Die Kampagne gegen das geplante Heim in Güstrow begann mit einem Leserbrief des Leiters der benachbarten Kita. Dann kam ein Flyer einer Bürgerinitiative, der alle Nachteile einer solchen Einrichtung für die NachbarInnen gespickt mit gängigen rassistischen Vorurteilen auflistete. Mit einer Petition und Unterschriftenlisten wurden weiter gegen das geplante Flüchtlingsheim gehetzt. Anfang Oktober wurde schließlich auf das Gebäude ein Buttersäureanschlag verübt. Doch obwohl es junge Menschen, die mit solchen Dingen nicht einverstanden sind, in der hiesigen Region ziemlich schwer haben, hat sich in diesem Fall eine Gruppe gefunden, die etwas dagegen setzen wollte. Mit der jungen Initiative haben wir zusammen kurz vor Weihnachten in dem betroffenen Viertel und einem Nachbarviertel mehr als 1000 Flyer verteilt, in denen wir über das Asylgesetz, Fluchtgründe und die realen Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland aufklärten.