Flammen loderten ein Jahr

geschrieben von Alfred Fleischhacker

5. September 2013

Studie zu Bücherverbrennungen im Jahr 1933 erschienen

Sept.-Okt. 2008

Julius H. Schoeps, Werner Treß (Hg.):

Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933. Eine Publikation des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien, Potsdam, 2008, 848 S. mit zahlreichen Abb., Reihe: Bibliothek Verbrannter Bücher, Subskriptionspreis 31.12.2008: 19,80 EUR, danach 24,80 EUR

Fortan sollte man nicht mehr von DER Bücherverbrennung als einem singulären Ereignis am 10. Mai 1933 in Berlins Mitte sprechen. Was an jenem Abend von Nazis, hitlertreuen Studenten und sogar Professoren in Talaren inszeniert wurde, zog weite Kreise.

Deren Ausmaß dokumentiert ein umfangreiches Werk des Moses-Mendelsohn-Zentrums für Europäisch-Jüdische Studien Potsdam. 60 Autorinnen und Autoren haben sich in Archive begeben, penibel geforscht und herausgefunden, dass Scheiterhaufen mit nach Nazimaßstäben »unwertem Schriftgut« fast das ganze Jahr 1933 über loderten.

Angefangen von Bad Kreuznach, das ABC durchdeklinierend bis nach Zwickau, gab es Autodafés in 93 Städten. Der Vollkommenheit halber sei angemerkt, dass etliche schon vor der formellen Machtübernahme Hitlers und seiner Spießgesellen stattgefunden hatten. Belegt ist, dass Thomas Mann schon sehr früh betroffen war. Den Sommer 1932 verbrachte der Dichter noch in seinem Ferienhaus auf Nidden an der Kurischen Nehrung. Am 14. August jenes Jahres erhielt er ein Paket. Inhalt: ein verkohltes Exemplar seines Romans »Die Buddenbroks«.

In der im Olms Verlag erschienenen Dokumentation der Bücherverbrennungen werden drei Phasen beschrieben, die sich über das ganze Jahr 1933 erstreckten. Die erste begann bereits im März nach den Reichstagswahlen und diente der Masseneinschüchterung. Systematisch wurden linke Verlags- und Gewerkschaftsgebäude angegriffen, Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftsmitglieder verhaftet, verprügelt, gefoltert, und auch ermordet. In vielen Städten wurden die Inneneinrichtungen der überfallenen Objekte verwüstet und zerstört.

Die zweite Etappe ist mit dem Geschehen rund um den 10. Mai verbunden. Die Auswertung der Unterlagen zeigt eindeutig, dass es sich um organisierte Vorkommnisse handelte. Dabei spielte der seit 1931 vom Nationalsozialistischen Studentenbund dominierte DST eine führende Rolle. Die dritte Phase betraf die Monate vom 10.Mai bis zum Jahresende. Fest eingebunden in die überall nach vorgegebenem Schema ablaufenden Rituale »wider den undeutschen Geist« waren Kontingente der Hitlerjugend. Oft genug wurden die Spektakel gleich noch für die massenhafte Aufnahme neue Mitglieder genutzt.

320 Bände wären erforderlich um alle in jenem Jahr verbrannten Werke neu aufzulegen. Ein Projekt, das in der überschaubaren Zukunft nicht zu realisieren ist. Doch 120 werden in den nächsten Jahren verlegt. Die ersten zehn Bände, mit Texten von André Gide, Franz Kafka, Erich Kästner, Anna Seghers, Kurt Tucholsky, u. a. sind bereits erschienen. Sie gehen an 4.000 Schulen, damit heutige und künftige Generationen erfahren, wie viel Wissen über alle Bereiche menschlichen Lebens in den 93 Bücherverbrennungen zu Beginn der Naziherrschaft vernichtet wurde.

Thomas Mann übrigens kam zwei Jahre vor der totalen Niederlage der Braunen Mörderbande noch einmal auf die brennenden Scheiterhaufen zurück. In einer Rundfunkrede aus der amerikanischen Emigration an deutsche Hörer bezeichnete er die Verkohlung seines großen Familienromans als individuelles Vorspiel zur zeremoniellen Verbrennung von Büchern freiheitlicher Schriftsteller.

Ob die namentlich in der Dokumentation genannten 93 deutschen Städte die Handreichung des Moses Mendelsohn Zentrums aufgreifen und durch eigene Recherchen in Heimatmuseen oder ähnlichen Einrichtungen darstellen, was im ersten von zwölf schrecklichen Jahren der Naziherrschaft schon erkennbar war? Die kommende Zeit wird darüber Auskunft geben.