Gedenkt der Kinder!

geschrieben von Renate Dreesen

5. September 2013

Der Zug der Erinnerung fährt durch Deutschland

Jan.-Feb. 2008

Am 8. November wurde der Zug der Erinnerung in Frankfurt am Main unter großer Beachtung der Medien der Öffentlichkeit vorgestellt. Bereits am nächsten Tag war der Zug in Darmstadt. Die Initiative Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt hat die Ankunft des Zuges vorbereitet. Der Zug der Erinnerung wurde mit einer Gedenkveranstaltung zum 9. November auf dem überfüllten Bahnsteig empfangen. Zur Begrüßung sprachen der Oberbürgermeister Walter Hoffmann und Ruth Wagner, Jugendliche musizierten.

Der Zug erinnert an die Schicksale der Kinder und Jugendlichen, die während der Nazizeit in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und ermordet wurden. Für Deutschland konnten bereits 12089 Namen ermitteln werden, insgesamt waren es ungefähr 1,5 Millionen. Der Zug der Erinnerung soll dieser vielen namenlosen Opfer gedenken und nach ihren Spuren suchen – in ihren Heimatstätten.

Die Dampflok der Ulmer Eisenbahnfreunde zieht die Waggons mit der Ausstellung durch viele Städte. In der Ausstellung wird die Dimension der Verbrechen deutlich gemacht. Schon im Eingangsbereich befindet sich eine Europakarte, die auch die Zahlen der Opfer in denn verschiedenen Ländern zeigt.

In den einzelnen Abteilen werden Kinderschicksale beschrieben. Fröhliche Kinder lachen den Besucher an – ihr Leben wurde ausgelöscht. Deutsche Kinder, Kinder aus europäischen Ländern, Holland, Italien, Griechenland, Norwegen und Polen. Nicht nur jüdische Kinder wurden ermordet, auch Sinti- und Roma-Kinder, sie wurden auch Opfer von Menschenversuchen und Euthanasieverbrechen.

Im zweiten Waggon wird der Besucher mit den Tätern konfrontiert, die für die Deportationen verantwortlich waren, Ganzenmüller, Stier, Karl Wolff aus Darmstadt und viele andere. Aber sie behalten mit den unerträglichen Beteuerungen, nichts gewusst zu haben, nicht das letzte Wort. Das gebührt den wenigen Überlebenden, in den DP-Lagern, in denen diese »Displaced Persons« nach noch lebenden Angehörigen suchten und sich auf die Ausreise vorbereiteten. Menschen, wie William Usher, der als Kindertransportkind in England überlebte und lange Kantor der jüdischen Gemeinde in Darmstadt war, bevor er nach Israel ausgewandert ist.

In Darmstadt kamen ungefähr 5.000 Besucher zum Zug der Erinnerung – an nur zwei Tagen kamen etwa 100 Schulklassen. Sie wurden im Zug und vor allem bei der Spurensuche betreut von Studenten des Evenari Forums in Darmstadt. Viele recherchierten an den Computern, auch nach Quellen im Internet, suchten nach Personen in den Büchern und Materialien. Manche blieben Stunden, um zu lesen und nach dem Spuren von ehemaligen Klassenkameraden oder Nachbarn zu suchen.

Von den Deportationsopfern, vor allem aber von den Kindern und Jugendlichen gibt es bisher nur wenige Fotos und Dokumente – denn ihr Leben war oft sehr kurz. Der Zug der Erinnerung soll anregen, in den Städten und Regionen nach Lebenszeugnissen der Verschollenen zu suchen, an die Opfer erinnern und sie so dem Vergessen entreißen.

Folgende Fragen geben Anregungen für die Spurensuche: Welche Kinder und Jugendlichen wurden aus Ihrer Stadt deportiert? Gibt es noch Familienangehörige? Gibt es die Straße, das Haus heute noch? Gibt es noch Nachbarn, die sich an die Kinder erinnern? Gibt es Fotos, Briefe, Gegenstände, die den ehemaligen Nachbarn gehörten? Welche Schulen haben die Kinder besucht? Gibt es diese Schule noch heute? Finden sich im Schularchiv Unterlagen, Schülerkarteikarten, Schülerakten, Zeugnisse? Welche Erinnerungen haben ehemalige Klassenkameraden?