Geschichtsrevisionismus

geschrieben von Ulrich Schneider

5. September 2013

Denkmalsstürmer und SS-Glorifizierung in Estland

März-April 2007

Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) erklärte in einem Protestschreiben an Ministerpräsident Ansip: »Wir sind über diese geplante Schändung der würdigen Gedenkorte für diejenigen, die ihr Leben eingesetzt haben, Europa von der Geißel des Faschismus zu befreien, zutiefst empört. Das ist in unseren Augen ein schwerwiegender Verstoß gegen die demokratischen Grundlagen Europas und widerspricht den Werten der europäischen Vereinigung.«

Der vollständige Text der FIR-Erklärung findet sich unter

www.FIR.at

Das Verhältnis der baltischen Staaten zu Russland und zu ihrer eigenen Geschichte als Sowjetrepubliken ist bekanntermaßen kompliziert. In den letzten Monaten hat in Estland dieses Verhältnis eine Zuspitzung erfahren, das Antifaschisten nicht unberührt lassen kann.

Deutlich zeigen sich geschichtsrevisionistische Aktivitäten zur Rehabilitierung der SS und zur Verdrängung der Erinnerung an die Befreierrolle der Roten Armee. Schon seit vielen Jahren versuchen baltische SS-Angehörige und ihre Freunde, die Kollaboration mit dem deutschen Faschismus als Beitrag zur »Selbstständigkeit Estlands« umzudeuten. Im Sommer 2004 wurde in Lihula von privater Seite ein Denkmal zur Ehrung estnischer SS-Angehöriger errichtet. Damals sorgte noch Premierminister Juhan Parts dafür, dass das Denkmal staatlicherseits abgeräumt werden musste. Man befürchtete nicht zu unrecht, dass sich ein solches politisches Signal auf die Aufnahme Estlands in die Europäische Union störend auswirken könnte.

Nachdem jedoch dieser Schritt erfolgreich vollzogen ist, scheinen die »Dämme gebrochen«. Im August 2006 fand in Sinimae eine Versammlung von Veteranen der 20. SS-Division statt. Die Teilnehmer weihten Denkmäler für die SS-Angehörigen aus Belgien und den Niederlanden ein. Die Denkmäler tragen Hakenkreuze, Flaggen sowie Inschriften auf Estnisch, Französisch und Niederländisch und glorifizieren »die Verdienste« der SS dieser Länder, die dort umkamen. Diese Stelen sind Teil einer Gedenkanlage für die estnische SS, die bereits zuvor errichtet wurde. Nach Angaben der Agentur Interfax waren ca. 300 alte estnische, belgische und holländische SS-Angehörige, aber auch junge »Skinheads«, schwarze T-Shirts tragend, anwesend. Das Antifaschistische Komitee Estlands kritisierte, dass gegen solche Glorifizierung der SS-Verbrecher nur der belgische Botschafter in Tallinn protestierte, die estnischen Behörden jedoch – anders als noch im Jahr 2004 – stumm blieben. Diese neue Haltung überrascht nicht, da sich das politische Klima zugunsten geschichtsrevisionistischer Positionen gewandelt hat. Erkennbar wird dies daran, dass das estnische Parlament am 10. Januar 2007 mit großer Mehrheit ein »Gesetz über den Schutz von Soldatengräbern« verabschiedet hat, mit dem jedoch in der Realität der Abriss sowjetischer Ehrendenkmäler im Land und die »Umbettung« sowjetischer Gefallener verbunden ist.

Konkret sollen die sterblichen Überreste sowjetischer Soldaten beseitigt werden, die bei der Befreiung Tallinns von Nazitruppen starben und in der Nähe eines zentral in der Stadt gelegenen Denkmals beigesetzt wurden. Das Denkmal selbst soll ebenfalls geschleift werden, denn hier handele es sich um ein »Symbol der sowjetischen Besetzung Estlands«.