Gezeichnete Widersprüche

geschrieben von Thomas Willms

5. September 2013

Comic-Kunst aus verschiedenen Ländern zum Palästina-Konflikt

Mai-Juni 2012

Guy Delisle: Aufzeichnungen aus Jerusalem, 334 Seiten, 29,00 EUR

Sarah Glidden: Israel verstehen – in 60 Tagen oder weniger, 206 Seiten,

24,95 EUR

Joe Sacco: Palästina, 287 Seiten, 28,00 EUR

Dass es im Deutschen keinen eindeutigen Begriff für »Graphic Novel« oder »Bande Dessinée« gibt, macht ihre mangelnde Anerkennung hierzulande bereits deutlich. Immerhin häufen sich aber in letzter Zeit Übersetzungen aus dem französisch/belgischen bzw. amerikanisch/kanadischen Bereich und langsam verbreitet sich, dass »Comics« eine Kunstform wie andere auch sind. Sie ermöglichen »Ton« und »Bild« und das bei einer hohen, nicht peinlich wirkenden, Subjektivität. Komplizierte Themen wie der Palästina-Konflikt haben es den Künstlern besonders angetan. Es kann richtig schiefgehen wie bei Maximilien le Roys »Die Mauer« (spannungslos und selbstgefällig) oder auch bahnbrechend wirken wie Ari Folmans und David Polanskys »Waltz with Bashir« (überzeugender als jeder Dokumentarfilm).

Wer sich aber wünscht, den Palästina-Konflikt noch einmal ganz neu sehen zu können, ist mit den gezeichneten Reisetagebüchern besser bedient. Naiv nähert sich z.B. der Frankokanadier Guy Delisles in »Aufzeichnungen aus Jerusalem« der Stadt. Delisle landete 2008 im Gefolge seiner bei »Ärzte ohne Grenzen« arbeitenden Frau im Ostteil Jerusalems und schildert autobiographisch die Erlebnisse eines Jahres. Dabei interessiert er sich herzlich wenig für Politik, sondern stapft auf der Suche nach einem Café, einer Einkaufsgelegenheit für die präferierten Frühstücksflocken und nach dem nächsten Kinderspielplatz beherzt durch die fremde Stadt. Ein solcher ist für seine beiden Kleinkinder im arabischen Teil aber nicht zu finden, dafür stinkende oder brennende Müllcontainer, ruinierte Straßen, gigantische Sperrmauern und Checkpoints, die jede Bewegung beeinträchtigen oder für Palästinenser sogar unmöglich machen. Das Erhellende an dem Buch ist das Sichtbarmachen der andauernden Beeinträchtigungen, Demütigungen und ökonomischen Benachteiligungen der unerwünschten Araber und den daraus resultierenden Frustrationen, Ängsten und Unfreundlichkeiten, die auch vor den Verursachern nicht Halt machen.

Verwundert, aber immer noch mit Humor kann Delisle (»Gott sei Dank Atheist«) auf die absurden (Selbst-)Beeinträchtigungen blicken, die die nationalistischen und/oder religiösen Diskurse mit sich bringen. Anders als Delisle ist die US-Amerikanerin Sarah Glidden voreingenommen, als es für sie nach Israel geht. In ihrem graphischen Tagebuch »Israel verstehen – in 60 Tagen oder weniger« schildert sie ihre Erlebnisse während ihrer »Geburtsrechts-Tour« 2007 durch Israel. Aus dem liberalen amerikanischen Judentum stammend, geht sie mit Vorbehalten an ihre Reise für junge ausländische Juden – vom israelischen Staat organisiert und finanziert – heran.

Die Teilnehmer, die als vereinzelte Wesen in Tel Aviv eintrudeln, verschmelzen während ihrer Reise zu einer Gruppe, verbunden durch den Klebstoff »Jüdischsein«. Die Identitätsangebote sind kaum auszuschlagen: Masada bei Sonnenaufgang, Yad Vashem, Kibbuz-Pioniergeschichten, »unsere Soldaten«. Und dann ist auch noch das Essen gut und das Wetter schön, ein wunderbarer durchorganisierter Urlaub mit Gruppenanschluss. Indoktriniert wird wenig, dafür die Parallelwelt der Palästinenser einfach ausgeblendet. Das Kollektivitätsangebot lässt nach und nach die Herzen aufgehen, nur Glidden gerät in eine emotionale Achterbahn. Sie war bereits in vielen anderen Ländern und hatte sich eingelesen in die »Situation«. Das Wissen um die Leerstellen machen der Autorin zu schaffen und lässt ihr Aufgehen in der Gruppe (»bitte zusammenbleiben«) nicht zu. Gefühle, Beobachtungen, Begegnungen mit Menschen und angelesenes Wissen passen nicht zueinander. Mit Erleichterung lässt sie schließlich die Gruppe ziehen, um auf eigene Faust in die Westbank aufzubrechen – wo sie nie ankommt.

Die umgekehrte Perspektive bietet Joe Saccos »Palästina«, bereits ein Klassiker der gezeichneten Reportagen. Als zeichnender Journalist ging der US-Amerikaner maltesischer Abstammung 1991 zur Zeit der Intifada in die Westbank und in den Gaza-Streifen. Ist Gliddens an belgischen Comic-Klassikern wie »Tim und Struppi« orientierter Stil klar und freundlich-altmodisch, arbeitet Sacco in einem »dreckigen« Schwarz-Weiß Stil. Als Einzelgänger mit Ami-Schnauze hangelt sich der dauernd für einen Japaner gehaltene Sacco von Sofa zu Sofa, um immer wieder ähnliche Geschichten zu hören, in denen vor allem eines fehlt: Normalität. Ein normales Leben kann man in Palästina nämlich nicht führen, die Zwangssituation greift tief in Arbeit und Alltag ein. Schlimmer noch als Gewalt und Armut ist für die Menschen das Gefühl der Ohnmacht und Ausweglosigkeit, wofür Sacco bewegende Bilder findet. Er stellt sich die Frage, was die klare Verteilung von Macht und Ohnmacht eigentlich mit den Beteiligten macht, mit den Soldaten wie den Zivilisten. Der niemanden, auch sich selbst nicht, schonende Sacco findet, dass Macht und Ohnmacht alle hässlich machen. Folgerichtig ist sein ganzes Werk voller aufgerissener Mäuler und großer Zähne.