Konterfei der Barbarei

geschrieben von Günter Feist

5. September 2013

Eine bedeutende Sammlung antifaschistischer Kunst wurde versteigert

Jan.-Feb. 2008

Hans Grundig, Lea Grundig, Kurt Junghanns – die-se Folge von Namen bringt nicht einfach zwei Künstler und ihren Sammler in die Reihe, sondern umschreibt Gefährten, zudem Gefährten in Zeiten höchster Gefahr. 1932, kurz vor Hitlers »Machtergreifung«, waren die Grundigs mit dem noch etwas jüngeren Architekten bekannt geworden, alsbald konnte er als enger Freund in der Not gelten. 1938 hielt die Drei das gleiche Dresdener Gefängnis umschlossen, dann wurden Hans Grundig und Kurt Junghanns ins gleiche KZ gesperrt: Sachsenhausen. Wenige Jahre vorher, 1936, hatten die Grundigs und ihr Freund im schönen und friedlichen Tessin bei Albert Merkling geweilt. Hans Grundig gelang es hier, sich etwas »auszubalancieren«. Das Gemälde »Tessinlandschaft II« gibt Kunde davon.

»Was sollten wir tun?« heißt es in Hans Grundigs Autobiographie über diesen Besuch. »Sollten wir hier bleiben in der Schweiz und unser Leben retten, oder wollten wir wieder in jenes grauenhafte, in Barbarei versunkene Deutschland zurückkehren, das doch unsere Heimat war und uns als Antifaschisten dringend brauchte?« Wären sie »draußen« geblieben, hätte ihnen kein Nachgeborener daraus einen Vorwurf machen dürfen. Allzu beredt sind die geschichtlichen Tatsachen von damals. Allerdings wären bei einer solchen Entscheidung einige der erregendsten Kunstdokumente des 20. Jahrhunderts entweder gar nicht erst entstanden, oder sie würden die unerhörte Intensität nicht besitzen, die sich erst aus dem »Auge in Auge« ihrer Schöpfer mit den – wie die Grundigs zu sagen pflegten – »nazistischen Wölfen« ergeben hat.

Man vergesse nicht, dass Hans Grundigs Hauptwerk, das Triptychon »Das Tausendjährige Reich«, zwischen mehreren Verhaftungen entstanden ist. Das epochale Triptychon ist das beste Beispiel für die dergestalt singulär geformte Identität von Leben und Werk, aber nicht das alleinige. Von den zur selben Zeit entstandenen, graphischen und zeichnerischen Arbeiten lässt sich dasselbe sagen. Keine Drangsal konnte Hans und Lea Grundig daran hindern, nach der Entlassung aus einer Haft sofort dort weiterzumachen, wo sie zwangsweise hatten aufhören müssen. Der authentische Bericht, den sie der Mit- und Nachwelt geben wollten, dieser Bericht sollte umfassend sein, das »Konterfei« des NS-Staats, an dem sie arbeiteten, so genau wie möglich. Es war also kein Tag zu verschenken.

Das Phantastische, dem sich Hans Grundig verschrieb – auch Lea Grundig tat dies vor allem während der faktischen Illegalität und im Exil bis zu einem gewissen Grade, allerdings nicht so sehr in ihrer Spätzeit, die mehr im Zeichen einer Art Reportage-Grafik stand, – dieses Phantastische wies nicht in menschenferne Leere, sondern – oft hintergründig und gedankenschwer – ins jeweils Gegenwärtige. Zeitbezug war unabdingbar, darin wirkte das ursprüngliche Vorbild Otto Dix fort. Aus der unatmosphärischen, sachlichen Härte der veristischen Bilder der Anfangsjahre wurde in der »Asso-Zeit« eine gefühlsstärkere Schilderung des proletarischen Lebens, teils als behutsame Milieu-Einfühlung, teils versehen mit der agitatorischen Wucht von Klassenkampf-Bildern. Diese Werke werden immer zu beachten sein, aber sie kennzeichnen nicht den besonderen Platz Hans Grundigs in der deutschen Kunst. Dergleichen haben auch andere geschaffen, nicht zuletzt die Mitstreiter in der Dresdener Asso. Aber diese meldeten sich 1933 fast alle für zwölf Jahre aus der aktiven Kunstgeschichte ab.

Die Grundigs aber stellten sich den Dingen. Staunenswert, wie rasch sie auf die am 30. Januar 1933 entstandene neue Wirklichkeit reagierten. Nur für eine kurze Übergangszeit folgten sie noch den alten revolutionären Mustern, dann begriffen sie, dass es nun nicht mehr um Arm und Reich, sondern schlechterdings um alles ging. Die wohlinszenierten massenpsychopathischen Orgien von Hass, Dummheit, Größenwahn, Welteroberungsgeschrei, Terror und Knechtung des Geistes, die Hitler abzurollen begann, ließen die Größe der Menschheitsbedrohung ahnen. Ein herkömmlicher Realismus musste da auf verlorenem Posten stehen. Jede bloße Beschreibung eines im Moment gegebenen Zustands musste versagen vor der prozessualen Bösartigkeit des NS-Regimes, vor der Fähigkeit der Nazis, Furcht und Machtgelüste in immer neue Dimensionen hochzutreiben.

Da erinnerte sich Hans Grundig seiner alten, nur vorübergehend vergessenen Vorliebe für die Malerei des späten Mittelalters, ebenfalls einer »apokalyptischen Zeit«, wie er mit Recht fand, seiner Vorliebe auch für Francisco Goya, der aus der Idyllik einer höfischen Sekurität in die höllische Wirklichkeit der »Schrecken des Krieges« hinabgestürzt war, sodann für jegliches Skurrile und Magisch-Symbolische. Aus alledem formte er den Stil, mit dem er den Nationalsozialismus packen konnte, bevor dieser ihn packte. In treffsicheren Metaphern, die sich spannungsvoll erregter Linien und beschwörender wirklich-unwirklicher Farben bedienten, wurden alle Qualen und Schrecken, die schon gegenwärtigen wie die noch kommenden, vollendete Kunstform. Grundigs Prophetien lassen den Himmel aufglühen und die Erde sich öffnen. Städte stürzen zusammen, lange bevor das tatsächlich geschah. Fahnen zerrenken sich wie in Epilepsie. Wolfsrudel heulen Chöre des Verderbens. Menschen treiben dahin, sie maskieren sich, verfallen dem Irrsinn oder der Gemeinheit, und nur wenige sind es, die widerstehen.

Die Grundigsche Analyse des Faschismus in ihrer ganzen Tiefe zu erleben, ist natürlich nur vor den Gemälden des Künstlers möglich, vor allem dem erwähnten Triptychon und dem in zwei Fassungen existierenden Werk »Den Opfern des Faschismus«, einem bildnerischen Requiem. Aber Hans Grundig war nicht nur ein Maler hohen Ranges, sondern auch ein ausdrucksstarker Zeichner und Graphiker. Und dem stellte sich, zum Teil korrespondierend, zum Teil selbständige Wege gehend, Lea Grundig an die Seite. Die schwarzdunklen Porträt- und Milieuzeichnungen ihrer Frühzeit – Hans Grundig nannte speziell die Blätter in Kohle spaßig »Briketts« – verraten den Einfluss von Käthe Kollwitz. Während Hans sich von Anfang an in der Radierung und im Linolschnitt versucht hatte, gelangte Lea Grundig erst 1933 zur Druckgraphik. In diesem Jahr kam, gerade rechtzeitig, eine kleine Tiefdruckpresse ins Grundigsche Haus, und an diesem Gerät fand nun einer der merkwürdigsten Wettstreite der Kunstgeschichte statt. Wie in fliegender Hast – »Wir wussten nicht, wie viel Zeit uns noch blieb«, schrieb Lea Grundig – bemühten sich beide, den Faschismus zu treffen, wo immer sie nur konnten.

Bei diesem Unterfangen näherte sich ihre Kunst stark an, ohne indessen identisch zu werden. Zwar kann man von einer gewissen Parallelität im Inhaltlichen wie im Stilistischen sprechen, ja manchmal sogar von einer Durchdringung, doch niemals ging die Tatsache verloren, dass verschiedene Charaktere, verschiedene Temperamente am Werke waren. Als Beleg dafür können zwei Blätter eines Themas dienen. Der Umstand eines sehr ungebetenen Besuchs – Gestapo im Haus – ließ die beiden Grundigs 1934 den gleichen Gegenstand gestalten. Hans radierte einen leeren Raum, in dem das Fensterholz einen Kreuzesschatten wirft. Die Abholer müssen gründliche Arbeit geleistet haben. Nur einen Kobold übersahen sie. Er hat sich unter dem Lampenschirm verkrochen und spottet feixend des letztlich doch vergeblichen Tuns der braunen Gewalt. Diesem ebenso schelmenartigen wie tiefsinnigen Humor setzte Lea etwas nicht minder Typisches entgegen. Auf ihrem Blatt verbergen sich angstvolle Menschen hinter zitternden Türen. Beide Grundigs haben also zum Symbol gegriffen, aber jeder anders. Bei Lea bleibt es an den Menschen gebunden, auch da, wo sie mit dem Phantastischen arbeitet. Menschen voller Sehnsucht trennt das Gitterwerk des großartigen Blattes »Gefangen« von 1935, auch als »Himmlers Verlies« bekannt. Menschen in panischem Schrecken verknäueln sich in der Detonationswolke des Blattes »Kanonen« von 1936. Selbst bei der kriegsapokalyptischen Vision »So wird es sein« aus dem gleichen Jahr erinnern Spuren von Menschen auf dem leergesengten Planeten an das Gewesene.

Bei Lea Grundig ist das Sinnbild direkter, fasslicher. Größere Unmittelbarkeit kommt selbst im Titel ihrer Zyklen zur Geltung: »Frauenleben«, »Unterm Hakenkreuz«, »Der Jude ist schuld« oder »Krieg droht«. »Niemals wieder« und »Im Tal des Todes« nannte sie diese ab 1941 in Palästina entstandenen Folgen, welche die vielleicht frühsten Gestaltungen des Themas »Holocaust« enthalten, ungeheuer eindringliche Zeichnungen, die sie selber 1958 als ihre »Besten Arbeiten« einschätzte.