Konzept mit Mängeln

geschrieben von Karl Stenzel

5. September 2013

Kritische Anmerkungen zur Ausstellung im KZ-Sachsenhausen

Jan.-Feb. 2009

Karl Stenzel war Häftling im KZ-Sachsenhausen. Er vertrat viele Jahre die deutschen Häftlinge im internationalen Sachsenhausenkomitee.

Mit der Eröffnung der Dauerausstellung in der ehemaligen Häftlingsküche erklärte der Direktor der Gedenkstätte, Prof. Dr. Morsch, das dezentrale Gedenkkonzept für die Gedenkstätte im wesentlichen als abgeschlossen. Eine Einschätzung der historischen und politischen Neugestaltung der Ausstellungen insgesamt ist nun möglich und notwendig. Ich will sie in einigen Punkten zusammenfassen.

Nicht mehr sichtbar ist heute, dass der Hitlerfaschismus im kapitalistischen Gesellschaftssystem wurzelte. Konzerne, Banken, Großagrarier und Militär wollten den Faschismus und generell die Beseitigung der Weimarer Republik. Der Begleitfilm zur Ausstellung beginnt jedoch erst mit der Machtübergabe. Eine Vorgeschichte dazu gibt es nicht. Auf das kapitalistische Gesellschaftssystem wird an keiner Stelle der Ausstellungen eingegangen. Die Möglichkeit, in der Ausstellung in der Häftlingsküche zu zeigen, welche Rolle die Konzerne spielten, die ja die Rüstungswirtschaft fest im Griff hatten und auch im KZ Sachsenhausen wirksam waren, wurde nicht genutzt. Die Darstellungen beschränken sich auf die Rolle der SS. Die Aufzählung der Nebenlager und Rüstungsbetriebe reicht zur Darstellung der gesellschaftlichen Zusammenhänge bei weitem nicht aus.

Für die Geschichte des KZ Sachsenhausen ist eine Periodisierung wichtig. Sie fehlt. Die Situation und die Zusammensetzung der Häftlinge in den Jahren 1936 bis 1939 unterschied sich von der vom Ende 1939 bis Ende 1942. Und diese war wieder wesentlich anders von 1943 bis zum Ende 1944. In den Monaten Januar bis April 1945 verschlechterte sich die Situation der Häftlinge noch einmal – und zwar dramatisch. Diese Periodisierung, ihre Begründung, die Folgen und Auswirkungen auf die Häftlinge und ihre Zusammensetzung hätte den Hauptinhalt der Darstellungen in der ehemaligen Häftlingsküche bilden müssen. Dann wären ein Bezug und eine Klammer für die anderen Ausstellungen sichtbar geworden

Dies bedenkend, wird deutlich, dass ins Zentrum der Ausstellung eine Darstellung der Lage und der Tätigkeit der Häftlinge gehört und nicht in erster Linie ihre Bastelarbeiten. Gerade das Arbeitskommando »Kolonne 7« der DEMAG im Nebenlager Falkensee, die Vorbereitung und letztlich erfolgreiche Selbstbefreiung des Lagers durch den organisierten antifaschistischen Widerstand französischer, polnischer und russischer Häftlinge unter der Führung eines deutschen Kommunisten hätten hervorgehoben werden müssen.

Darüber hinaus fehlt in der zentralen Ausstellung eine gründliche Darstellung der Tätigkeit der Sonderkommission des SD gegen die kommunistische Solidarität. Für mich ist offensichtlich, dass die gesamte Konzeption dazu dient, den organisierten antifaschistischen Widerstand und den selbständigen Widerstand der Häftlinge verschiedener Nationen im KZ Sachsenhausen herunterzuspielen.

Es ist bekannt, dass ein großer Teil der Gedenkstättenbesucher in Gruppen kommt. Aus Erfahrungen wissen wir, dass sie für den Besuch der Gedenkstätte zwei Stunden vorgesehen haben. In dieser relativ kurzen Zeit ist es unmöglich, alle Ausstellungen gründlich zur Kenntnis zu nehmen. Die Ausstellung in der Häftlingsküche hat demnach eine Leitfunktion. Hier müssen Charakter, Entstehung und Entwicklung des Hitlerismus dargestellt werden. Der Marsch der SA durch das Brandenburger Tor und der Tag von Potsdam reichen dafür nicht. Bekommen die Besucher in dieser Ausstellung diese Informationen, für die sie bis zu eine Stunde brauchen, bleibt noch eine Stunde für allgemeine Informationen über die anderen Ausstellungen: Oranienburg, Revier, Krankenbau oder Jüdische Baracke. Und das, wo für das so wichtige Jüdische Museum allein eine Stunde kaum reicht.

Die Hauptinformation mit grundsätzlichen Aussagen müssten die Besucher also in der Häftlingsküche bekommen. Die aktuelle Ausstellung erfüllt diese Aufgabe allerdings nicht.