Künstler, Träumer, Revolutionär

geschrieben von Ulrich Schneider

5. September 2013

Worpswede ehrt Heinrich Vogeler mit einer großen
Gemeinschaftsausstellung

Sept.-Okt. 2012

Ausstellungskatalog: Heinrich Vogeler, Künstler, Träumer, Visionär, Hrsg. Sabine Schlenker, Beate C. Arnold, Hirmer-Verlag 2012, ISBN 978-3-7774-4991-3

Noch bis Ende September 2012 findet in Worpswede eine eindrucksvolle Gemeinschaftsausstellung über den Maler, Grafiker, Designer und Architekten, Schriftsteller und Sozialrevolutionär Heinrich Vogeler statt. Anlass der Ausstellung sind der 140. Geburtstag und der 70. Todestag des Künstlers. Vier Einrichtungen, die mit Vogeler verbunden sind, der Barkenhoff, das Haus im Schluh, die Worpsweder Kunsthalle und die Große Kunstschau haben ihre Exponate und Räumlichkeiten gebündelt, um die verschiedenen Facetten von Vogelers Wirken thematisch geschlossen darzustellen. Im Haus im Schluh, dem Familiensitz seiner Frau Martha, finden sich unter dem Titel »Märchen und Minne« insbesondere Jugendstilwerke, mit denen Vogeler seinen künstlerischen Ruf und seine materielle Basis begründete. Bremer Kaufleute förderten ihn durch den Erwerb seiner romantischen und idealisierenden Bilder. Vogelers Erfolg war so groß, dass er zur Jahrhundertwende den Barkenhoff erwerben konnte, der nicht nur sein Lebensmittelpunkt war, sondern zum geistigen Zentrum der Worpsweder Künstlerkolonie wurde. Hier versuchte Vogeler auch seine sozialreformerischen Wohn- und Lebensformen zu verwirklichen. Als dies Anfang der 20er Jahre scheiterte, übergab Vogeler 1924 den Barkenhoff der »Roten Hilfe«, die hier bis 1932 ein Heim für Kinder verfolgter Revolutionäre einrichtete. In diesen Räumlichkeiten schuf Vogeler seine revolutionären Barkenhoff-Fresken. Obwohl die Nazis 1939 die meisten Bilder durch Abschlagen des Putzes zerstörten, wurden bei späteren Renovierungsarbeiten noch einzelne Originalfresken gefunden.

In der Worpsweder Kunsthalle findet man die »Geburt des neuen Menschen«, weitere Grafiken, Zeichnungen und Gemälde sowie Dokumente über seinen politischen Werdegang. Der Erste Weltkrieg führte ihn an die Seite der revolutionären Kräfte. In einem Brief an Kaiser Wilhelm II vom Januar 1918 formuliert Vogeler in dem »Märchen vom lieben Gott« einen noch christlich geprägten Friedensappell. Die wilhelminische Obrigkeit erklärte ihn daraufhin für »geisteskrank«. In seinen expressionistischen Bildern »Die Kriegsfurie«, »Das Elend des Krieges« und »Die Leiden der Frau im Kriege« zeigte Vogeler jedoch eindrucksvoll seine Antikriegshaltung. Die Novemberrevolution erlebte er als Befreiung. In dem Katalogband heißt es: »Vogeler ist Sozialist der Tat von den ersten Tagen der Revolution an.« (176) Er verstand sich als Kommunist und versuchte, das Ideal seiner Gesellschaft in einer Kommune auf dem Barkenhoff vorzuleben, 1924 wurde er Mitglied der KPD und arbeitete in der »Roten Hilfe Deutschlands«, deren Zentralvorstand er angehörte. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche agitatorische Bilder. Bekannt ist das »Portrait eines Hamburger Werftarbeiters«, der den Hamburger Aufstand 1923 verarbeitete. Man findet es als Großleinwand in dieser Ausstellung.

Vogeler entwickelte Vorlagen für Plakate und Postkarten zum 1. Mai und hielt Vorträge über seine Reisen in die Sowjetunion, die er seit 1923 mit seiner zweiten Frau Sonja Marchlewska unternahm. Trotz ideologischer Auseinandersetzungen (er wird 1929 aus der KPD ausgeschlossen) blieb er der revolutionären Sache und der Sowjetunion verbunden. 1931 übersiedelte er komplett nach Moskau, 1932 folgte seine Familie. Schon in den 20er Jahren hatte er seine Eindrücke aus der UdSSR in einer völlig neue Bildkomposition, den Komplexbildern, versucht darzustellen. Sie erzählen Geschichten, vermitteln Erfahrungen und drücken in ihrer Struktur und Symbolik das revolutionär Neue in der Kunst und dem dargestellten Gegenstand aus. In Moskau ist aber seine zeichnerische Fähigkeit gefragt. Er bekam den Auftrag, in Bildern und Gemälden Eindrücke von seinen Reisen insbesondere durch den Kaukasus festzuhalten.

Vogeler versuchte auch von Moskau aus, seinen Beitrag zum antifaschistischen Kampf zu leisten. Unter dem Titel »Das Dritte Reich« legte er 1934 gemeinsam mit Johannes R. Becher, der entsprechende Verse beisteuerte, 36 Federzeichnungen im Stil der Holzschnitte von Frans Masereel vor, die als Aufklärungsschrift im antifaschistischen Exil verbreitet wurden. Die Zeichnungen und Texte wurden in verschiedenen Flugschriften nachgedruckt.

Im Juni 1941 meldete sich Vogeler freiwillig zur Roten Armee und verfasste Front-Flugblätter. Aufgrund der Kriegsentwicklung wird auch Vogeler nach Kasachstan evakuiert. Gesundheitlich schwer angeschlagen und in existenzieller Notlage stirbt er im Juni 1942 in der Krankenstation des Kolchos Budjonny in Kasachstan.

Der Worpsweder Ausstellung gelingt es eindrucksvoll, den künstlerischen Werdegang und das politische Anliegen Heinrich Vogelers nachzuzeichnen. Zur Vertiefung lohnt sich der Katalogband.