Lebenslanger Widerstand

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Neu erschienen: Autobiografische Texte aus dem Nachlass Walter Markovs

Jan.-Feb. 2010

»Es war vor allem die in der Härte des antifaschistischen Widerstandskampfes gewonnene Erfahrung, die Walter Markov niemals Geschichte auf die Frage, »Wie es eigentlich gewesen sei« reduzieren ließ, sondern Geschichte stets als Wegweisung in einer Welt begriff in der wissenschaftlich fundierte Kenntnis zugleich Anerkennung ihrer politischen und gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabe in der globalen Konfrontation von Fortschritt und Reaktion bedeutet …«

Manfred Kossok, aus: »Wenn jemand seinen Kopf bewusst hinhält …« Kolloquium Rosa-Luxemburg-Verein, Leipzig 1995

Walter Markov, »Zwiesprache mit dem Jahrhundert« dokumentiert von Thomas Grimm, Aufbauverlag 1989

Walter Markov »Wieviele Leben lebt der Mensch. Eine Autobiographie aus dem Nachlass« Faber&Faber. 2010

Zum 100. Geburtstag von Walter Markov erschien im Verlag Faber & Faber seine Autobiographie: »Wie viele Leben lebt der Mensch«. Irene Markov hat zusammen mit dem Verlag Texte aus dem Nachlass zusammengestellt, die sich wie ein wunderbares farbiges Lebensmosaik lesen.

Markovs Biographie ist zwar 1989 in den durch Thomas Grimm dokumentierten Erinnerungen »Zwiesprache mit dem Jahrhundert« im Aufbauverlag erschienen, doch in dem vorliegenden Band erzählt er selbst mit viel Humor auch bis dahin unbekannte Details, gelegentlich auch anekdotenhaft, sich selbst ironisierend. Der für mich wichtigste Teil des neuen Buches ist sein bis dahin noch nicht so ausführlich dokumentierter Bericht »Die Illegalen«, in dem er seine Widerstand gegen den Faschismus beschreibt.

Markov wurde in Graz als Kind eines kaufmännischen Angestellten mit slowenischer Nationalität geboren, wuchs zweisprachig auf, legte 1927 sein Abitur nach dem Gymnasium in Belgrad in der jugoslawischen Küstenstadt Rijeka ab, studierte dann in Leipzig, Köln und Berlin Geschichte, Philosophie und Slawistik. Durch seinen Lehrer Artur Rosenberg, der auch kurze Zeit Reichstagsabgeordneter war, wurde er mit der marxistischen Lehre des historischen Materialismus bekannt. Er promovierte mit summa cum laude über das Thema »Serbien zwischen Österreich und Russland 1897 bis 1908«. 1934 trat er in die schon verbotene KPD ein und organisierte mit Kommilitonen eine antifaschistische Widerstandsgruppe, die eine illegale Zeitung »Sozialistische Republik« herausgab.

Im Februar 1935 flog die Gruppe auf. Die Studenten wurden verhaftet und 1936 vor den Volksgerichtshof gestellt. Markov wurde »wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« zu einer Zuchthausstrafe von zwölf Jahren – davon sechs in Einzelhaft – verurteilt, die er im Gefängnis Siegburg absaß. Als die amerikanischen Truppen zum Rhein vorstießen, organisierte Markov in der Nacht vom 10. zum 11. April mit seinen Kameraden einen Aufstand. Sie überwältigten die Wachmannschaft und befreiten sich selbst.

Es begann die Zeit des Neuanfangs sowohl politisch als auch wissenschaftlich. Doch Markov bekam bald zu spüren, dass er mit seiner kommunistisch-marxistischen Überzeugung an der Bonner Universität keine Zukunft haben würde. So siedelte er nach Leipzig über. An der Leipziger Universität stürzte er sich in die lang ersehnte wissenschaftliche Arbeit. Er übernahm 1949 den Lehrstuhl für Neuere Geschichte.

Von Anfang an arbeitete er mit einer geistigen Unabhängigkeit, die engstirnigen dogmatischen Bürokraten in der DDR bald anstößig erschien. Wegen seiner guten Kontakte zu seinem Heimatland Jugoslawien wurde er des »Titoismus« bezichtigt. Er wurde verdächtigt mit Offizieren der angloamerikanischen Besatzung in Verbindung zu stehen. Man warf dem überzeugten Marxisten vor, »die Probleme des Klassenkampfes zu verwischen«.

Der aktive Widerstandskämpfer gegen die faschistische Diktatur, der zehn Jahre seines Lebens wegen seiner Überzeugung im Zuchthaus sitzen musste, wurde aus der SED ausgeschlossen, der Status eines Verfolgten des Naziregimes wurde ihm aberkannt. Als Wissenschaftler war er bereits nach so kurzer Zeit seiner Lehrtätigkeit nicht angreifbar. Er blieb Professor und Institutsdirektor. Mehrere Angebote von Stellen in der BRD, zum Beispiel der Universität Göttingen, lehnte er ab.

Nach der Konsolidierung der Beziehungen zwischen der DDR und Jugoslawien bot Walter Ulbricht ihm 1959 erneut die Mitgliedschaft in der SED an. Markov dankte mit der ironischen Bemerkung, dass er sich dazu noch nicht reif genug fühle. Erst 1990 trat er der PDS bei. Seinem Freund aus Israel, Walter Grab, begründete er den Schritt: »Da man Gysi nicht im Dreck stecken lassen kann, habe ich die Entschuldigung der Partei akzeptiert und gehöre ihr (wenn gleich mehr symbolisch) an, um denen zu helfen, die ein viertes Reich nicht mögen.«

Durch seine akribische Forschung über die französische Revolution rückte er deren vergessenen Spiritus rector, den Pfarrer Jacques Roux, wieder in die Mitte des Geschehens der Revolution.

Seine Vorlesungen wurden in den sechziger Jahren zur Pilgerstätte von Studenten aller Fakultäten. Ich war damals Leiter des reformierten Konviktes in Halle und es gehörte zur Pflicht von Theologiestudenten aus Halle, nach Leipzig zu fahren, um an Markovs Vorlesung teil zu nehmen. Dies nahm er aufmerksam zur Kenntnis und als wir einmal zu spät in die Vorlesung kamen, unterbrach er freundlich: »Jetzt kommen die revolutionären Theologen aus Halle, die Reformierten sind dem politische Geist von Jacques Roux durch ihren Karl Barth noch näher.« Sein wissenschaftliches Oeuvre über Revolution und Revolutionstheorien hat Walter Markov weltweiten Respekt verschafft.

Die VVN-BdA ist dankbar und stolz, dass sie in ihrem Mitglied einen ständigen Mahner in Sachen Antifaschismus hatte.