Linke Weltsichten

geschrieben von Alfred Fleischhacker

5. September 2013

Die Erinnerungen des Diplomaten Horst Brie

März-April 2007

Horst Brie:

Erinnerungen eines linken Weltbürgers, Karl Dietz Verlag Berlin,

Euro 16,90

Der Bogen der Ereignisse, über die in diesem Buch berichtet wird, überspannt ein halbes Jahrhundert. Sie beginnen 1946 mit der Rückkehr des Autors Horst Brie nach Deutschland. Dieses Land hatten die Eltern und der damals Elfjährige l934 verlassen. Eine wohl lebensrettende Entscheidung für die Familie. War doch der Vater Mitglied der kommunistischen Partei und jüdischer Herkunft. Nach der Machtübernahme der Nazis deshalb in doppelter Gefahr. Das erste Exil bot die Tschechoslowakei. Der Sohn fand bereits dort Kontakt zu der in der Emigration gegründeten »Freien Deutschen Jugend« und blieb ihr verbunden, als die Familie nach Großbritannien auswanderte.

Ein Jahr nach der bedingungslosen Kapitulation kehrt er von London über Jugoslawien nach Berlin zurück. Mit der Einstellung »Entbehrungen auf mich zu nehmen, um am Aufbau eines antifaschistischen, demokratischen Deutschlands teil zu nehmen«. Zu Beginn in Mecklenburg. Es fehlten dort, wie überall im Land, Personen mit einer antifaschistischen Grundeinstellung. Die hatte er und begann im Studio Schwerin des Rundfunks seine berufliche Laufbahn. Viele Entscheidungen nahmen in jenen Jahren einen spontanen Verlauf. Horst Brie jedenfalls war erleichtert, als er zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der FDJ berufen wurde. Es schloss sich eine hauptberufliche Arbeit in der SED an.

1950 begannen in etlichen volksdemokratischen Staaten von Stalin inspirierte Schauprozesse gegen leitende Funktionäre kommunistischer Parteien. Man beschuldigte sie, als »Agenten des Imperialismus« den Aufbau des Sozialismus zu hintertreiben. Die infamen Verleumdungen jener Kampagne, die einige Betroffene sogar das Leben kostete, erreichten – allerdings in abgeschwächter Form – auch die DDR. Zwar gab es hier keine Todesurteile. Doch fast von heute auf morgen galten hunderte der SED verbundene Mitglieder als »unzuverlässige Kader« Betroffen waren davon in erster Linie solche Genossen, die sich nach 1945 frei entschieden hatten, aus westlichen Staaten in das nicht nur materiell zerrüttete Land zurückzukehren.Die damalige Parteiführung setzte eine Personal-Rochade in Gang, von der auch Brie betroffen war. Man schickte ihn in eine Maschinen- und Traktoren-Station, deren Aufgabe darin bestand, die knappen Landmaschinen konzentriert an Neubauern auszuleihen, welche durch die Bodenreform Land erhalten hatten. Die nach Stalins Tod 1953 einsetzende Rehabilitierung erreichte ihn 1955. Man empfahl ihm, mit Blick auf sein bisheriges Leben und seine internationalen Erfahrungen, künftig im Außenministerium zu arbeiten. Schon wenig später wurde er Kulturattaché an der DDR Botschaft in Peking. Es folgte die Ernennung zum Botschafter in Nordkorea, in Japan und schließlich in Griechenland.

Was er in diesen drei Jahrzehnten erlebt und mitgestaltet hat, darüber berichtet der Autor sachlich, offen und sehr informativ. Er lernte Personen kennen, die mit ganz unterschiedlichen Temperamenten, Lebensläufen und Visionen, gesellschaftliche Prozesse in ihren jeweiligen Ländern in Gang setzten. So in China Tschou Enlai und Mao Zedong. In Nordkorea Kim Il Sung. Mit gebotener Zurückhaltung offeriert er dem Leser seine Folgerungen aus den Umwälzungen jener Zeit.

Diplomatische Beziehungen mit Japan waren erst 1974, nach der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO, möglich geworden. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik ließ wissen, fortan wolle man die Welt nicht länger mit den »Querelles Allemandes« belästigen. Leere Versprechen, wie sich alsbald zeigen sollte. In Bonn wollte man sich nicht von der »Hallstein-Doktrin« lossagen, mit der man viele Staaten über Jahrzehnte unter Druck gesetzt hatte. Brie schildert wie Bonn versuchte, den Besuch Erich Honeckers in Japan zu verhindern. Selbst in den späten 80er-Jahren, als der Autor die Botschaft in Athen leitete, ließ das Auswärtige Amt noch immer nicht ab von Einmischungen in die Außenpolitik der DDR. Brie und ich werden nicht mehr präsent sein, wenn die Archive der Alt-BRD geöffnet und damit genauere Einblicke in Praktiken ermöglicht werden, mit denen man am Rhein in der langen Phase des Kalten Krieges die Außenpolitik der DDR so gar nicht neutral, geschweige denn passiv, begleitet hat.

Über viele Jahre hatte der Autor selbstverständlich auch engere Kontakte zu führenden Persönlichkeiten des Landes, das er nach außen vertrat. Genannt seien hier Erich Honecker, Hermann Axen, im Politbüro der SED für Außenbeziehungen verantwortlich, Oscar Fischer, viele Jahre Außenminister der DDR, und Günter Mittag.

Dem Leser bleibt es überlassen, die Wertungen Bries über die Genannten zu akzeptieren oder zu verwerfen. Es versteht sich wohl von selbst, dass er auch mit Geheimdiensten zu tun hatte. Seit knapp zwei Jahrzehnten soll es ja Leute geben, die bei diesem Wort immer nur an den einen denken. Doch in den USA gab es über Jahrzehnte den OSS, den Vorläufer der CIA, oder den sowjetischen KGB und in England den MI 5. Mit all diesen hatte Brie Kontakte und natürlich auch mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR.