Mehr als schizophren

geschrieben von P.C.Walther

5. September 2013

Die Widersprüche im staatlichen Umgang mit Neonazis

März-April 2011

Als das Oberlandesgericht München einem Neonazi-Anführer nach dessen Haftentlassung im Rahmen einer Führungsauflage untersagte, »rechtsextremistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut publizistisch zu verbreiten«, hob das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot auf, weil es zu »unbestimmt« sei; es greife »unverhältnismäßig« in das Grundrecht der Meinungsfreiheit ein.

Im Januar, wenige Wochen vor den Aufmärschen der Neonazis in Dresden, urteilte das dortige Verwaltungsgericht in einem von den Anmeldern des vorjährigen Naziaufmarschs angestrengten Verfahren, dass die Polizei im Februar 2010 »rechtswidrig« gehandelt habe, weil sie nicht mit polizeilichen Mitteln gegen die Blockaden von mehreren Tausenden Nazigegner vorgegangen sei und deshalb die Neonazis nicht marschieren konnten.

Als nunmehr am 13. Februar die Nazis zu ihrer ersten Dresden-Demo aufmarschierten, hatte die städtische Ordnungsbehörde jede Gegenveranstaltung in der Nähe des Naziaufmarschs untersagt. Die Neonazis dürften nicht »gestört« werden. Sogar ein Rundgang zu Stätten der NS-Täter fiel unter das Verbot. Die Gerichte bis hin nach Karlsruhe bestätigten das Versammlungs- und Demonstrationsverbot für Nazigegner.

Wenn heute jemand von außen diese bundesdeutschen Zustände in Sachen Neofaschismus betrachtet, muss er den Eindruck gewinnen, dass die Politik in diesem Fall schizophren und verlogen ist.

Da wird davon geredet, dass man dem Rechtsextre-mismus entgegentreten müsse, Bürgerinnen und Bürger werden aufgefordert, gegen Rechtsextremisten Zivilcourage zu zeigen, und auch Politiker unterstützen die Blockade-Aufrufe breiter Bündnisse, die die Nazi-Umtriebe stoppen wollen.

Gleichzeitig aber setzen sich oberste Justizorgane dafür ein, dass Neonazis ungehindert aufmarschieren können, dass sie das Grundgesetz, das laut Bundesverfassungsgericht ein Gegenentwurf zum Faschismus ist, für sich ausnutzen können. Mehr noch: Bürgerinnen und Bürger, die sich den Neonazis entgegenstellen und ihnen keinen Raum geben wollen, werden in diesen ihren Rechten eingeschränkt und kriminalisiert.

Die Feststellung, dass Faschismus keine Meinung sondern ein Verbrechen ist – grausam erhärtet durch die Erfahrungen während der Naziherrschaft -, wird auf den Kopf gestellt. Der Faschismus wird zur Meinung erklärt, der man Freiheit gewähren müsse. Neonazis, die die Demokratie beseitigen wollen, sollen die demokratischen Rechte für ihre Ziele missbrauchen dürfen. Das ist mehr als empörend.