Nach-denkliches zu G8

5. September 2013

Von Heinrich Fink

Juli-Aug. 2007

Angesichts der erschreckend niedrigen Wahlbeteiligung vor allem junger Menschen in den letzten Jahren war das politische Engagement von 80.000, die ohne öffentliche Mittel und Medienunterstützung den G8-Gegengipfel als eine politische Lernfestwoche in Rostock inszenierten, eine Sternstunde der „Demokratie von unten“. Die Demonstration als Auftakt war politische Manifestation und „Klima-Loveparade“ zugleich. Prominente Musiker, Liedermacher, Wissenschaftler, Künstler und Politiker, wie der philippinische Soziologe und alternativer Friedensnobelpreisträger Walden Bello, bemühten sich auf Podien und in Seminaren das Sachwissen der Bereitwilligen zu vermehren und ermutigten sie, nicht zu resignieren an den aktuelle Katastrophe in Sachen Menschenrechten – durch die militärisch gesicherten Vorrechte der global agierenden Kapitalinteressen.

Sich gegenseitig Mut zu konstruktivem politischen Protest zu machen, war die Devise. Aber damit die politische Öffentlichkeit in Deutschland sich nicht herausgefordert zu fühlen brauchte, sich der inhaltlichen Kritik des Gegengipfels zu stellen, musste eigens das Risiko der Gewalttätigkeit herbei geredet werden. Prompt folgten auch sehr teuere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Polizei und Geheimdienste, eine fatale Inszenierung. Aber die für die Sicherheit der acht mächtigsten Politehepaare der Welt verantwortlichen Beamten griffen temporär auf die bedingt bewährte alte DDR-Idee eines Schutzwalles zurück, auch um die friedliche Dynamik der politischen Auseinandersetzungen der Teilnehmer der Gegengipfelwoche aus aller Fernsehöffentlichkeit ins Niemandsland der potentiellen Randalierer auszugrenzen.

Doch Rostock erwies sich für die meist jungen Leute als offenherzig gastgebende Stadt. Zuständig waren allerdings auch für sie die siebzehntausend bundesweit rekrutierten Polizisten! Als G8-Gralshüter hatten sie die schwierige Aufgabe, den Mächtigen das junge Volk aus den Augen zu halten und gleichzeitig allen Spürsinn zu nutzen, um die mit einem anspruchsvollen politische Lernprogramm listig vermummten Gegengipfler, als zu tiefst gewaltbereit zu enttarnen, möglicherweise auch der Terroristenszene nahe zu bringen.

Dabei hätte Frau Merkel den acht selbsternannten Weltregenten doch den Gegengipfel als eine um die Weltprobleme besorgte mit sachkundigen Argumenten ausgestattete kritische junge Elite des Landes präsentieren können! Ein Beispiel offensiver Demokratie und Lebensfreude! Aber die Herren Schäuble und Jung vermochten selbst mit dieser kritischen Strömung ihre Mühlräder zu betreiben: Die Unberechenbarkeit, weil Erregbarkeit, konnten sie sich nicht entgehen lassen, um für ihre systemnützlichen Terrorphantasien, in noch nicht legalisierter Zusammenarbeit von Polizei und Bundeswehr den Ernstfall zu simulieren: So schaffte es dann auch ein einziger Hubschrauber in lärmendem Tiefflug die Demo-Kundgebung akustisch zu terrorisieren. Eine bewährte Möglichkeit den Zornpegel steigen zu lassen.

Fatal war nur, dass alle recht(s)schaffenden Medien sich mobil machen ließen, den auf der Auftaktdemo von der Polizei zunächst freundlich übersehenen „Schwarzen Block“ und seine dann plötzlich gewalttätigen Exzesse zur Singnatur des Gegengipfels zu machen. Der sehnlich erwartete Nachweis für die Gewaltbereitschaft war nun dokumentiert.

Der faszinierende demokratische Elan der durchaus unterschiedlichen Gruppen des Bündnisses der G8-Kritiker, der Aufwand an Kraft, Ideen, an Organisationstalent und internationaler Solidarität während der Vorbereitung und Durchführung der unzähligen auch musischen Veranstaltungen, sind der Öffentlichkeit nahezu vorenthalten worden. Sogar die kirchlichen Aktivitäten in Rostock schienen sich hauptsächlich auf das Anzünden von Kerzen für die Millionen durch Hunger und Krieg ermordeten Kinder der Welt zu beschränken. Doch auch die Botschaft vom zeitgleich stattfindenden 31. Evangelischen Kirchentag in Köln lautete -in Übereinstimmung mit der Botschaft des Gegengipfels- dass Menschen und Natur weltweit vor dem globalen Zugriffs des Kapitals gerettet werden müssen: Eine große Koalition derer, die eine andere Welt nicht nur für nötig, sondern auch für möglich halten.

Und wie eine Parodie auf die Aktivitäten des Gegengipfels verteilten die Neonazis ihre für Schwerin geplante Großdemo, die wohl aus Mangel an Polizeibewachung verboten worden war – nahezu ungestört -gleichzeitig auf viele Orte Deutschlands. Sie konnten sogar ungehindert durch das Brandenburger Tor ziehen mit ihren globalisierungskritisch getarnten nationalistischen Ansprüchen z.B.: „Das deutsche Kapital muss vor dem Zugriff Fremder gerettet werden.“ Der Schoß ist fruchtbar noch … Und die nicht Verlierer sein wollen, versuchen, mit Nazis auf die Gewinnerseite zu kommen. Nicht nur deshalb war NO NPD eine unentbehrliche Losung beim Gegengipfel.