Nützliches für den Krieg

geschrieben von Thomas Willms

5. September 2013

Und Überraschendes vom Kulturminister zu Ernst Jünger

Jan.-Feb. 2011

Warum ausgerechnet jetzt Ernst Jünger? Was hat er der Gegenwart zu sagen, oder besser: Was soll er der deutschen Gegenwart zu sagen haben? Ihm eine »Einführung in sein langes Leben und umfangreiches Werk« an repräsentativer Stelle – dem Literaturmuseum der Moderne in Marbach – zu widmen, mag dem Sammlerstolz des Deutschen Literaturarchivs entsprungen sein, das seinen lastwagengroßen schriftlichen Nachlass übernommen hat und ihn nun in kleinen Auszügen, vor allem Briefe und Tagebücher, präsentiert.

Das Dumme ist nur, dass der Jünger-unkundige Besucher, für den die Ausstellung gedacht sein soll, dieselbe ohne eine Vorstellung davon verlässt, was Jünger eigentlich getan – besser: angerichtet hat. Die Ausstellungskonzeption gewichtet alle zehn Lebensjahrzehnte des Autors nämlich gleich, als wäre nichts gewesen. Seine Wirkungsgeschichte findet, außer in nebulösen Formulierungen wie »dass sich an ihm die Geister immer noch scheiden«, nicht statt. Die 20er- und 30er-Jahre werden so zu Jahrzehnten wie andere auch. Vernünftigerweise kann man aber nicht daran vorbeigehen, dass Jünger damals der wirkungsmächtigste Kriegsschriftsteller der deutschen Rechten gewesen ist. »In Stahlgewittern« war nicht nur ein stark verkauftes Buch, sondern auch ein Schlagwort, ein Erklärungsansatz, eine Rechtfertigung und ein Programm. In der »Szene« hochaktiv, arbeitete Jünger sich bis Anfang der 30er zum Begriff der »totalen Mobilmachung« vor, den erfunden zu haben er für sich in Anspruch nahm. Er meinte damit bereits damals die vollständige Integration der Gesellschaft in die Kriegsanstrengungen wie Goebbels sie erst nach Stalingrad verkündete.

Dass Jünger nicht völlig zur Nazi-Ikone wurde, lag daran, dass er sich letztlich ausschließlich für sich selbst interessierte. Alles um ihn herum, ob das nun die im Giftgas verröchelnden Kameraden oder seine Sammlung aufgespießter Käfer war, diente ihm als Faszinosum. Wenn je ein Autor die Richtigkeit der feministischen Wissenschafts- und Gesellschaftskritik bestätigt hat, dann er. Er ist ein erschütterndes Extrembeispiel eines Mannes, der die Welt »vor sich aufbaut«, sich nicht als Teil derselben sieht und deshalb alles darf, ohne Skrupel haben zu müssen. Wie kann man sonst erklären, dass Jünger noch Anfang der 70er Jahre ohne Not ausgerechnet dem vor Gericht stehenden Werner Best, dem Erfinder der Einsatzgruppen, einen freundlichen Unterstützungsbrief schrieb und den Gerichten das Recht absprach, sich mit dem Vergangenen zu beschäftigen?

Gespannt durfte man deshalb darauf sein, was die Bundesregierung in Gestalt des Staatskulturministers Bernd Neumann zur Eröffnung der Ausstellung am 7.November zu sagen hatte. Seine Rede liest man am besten zweimal. Einmal, um die literaturgeschichtlich nicht haltbaren Huldigungen über sich ergehen zu lassen, ein zweites Mal, um das vergiftete Lob für Jünger zu würdigen. Man muss Neumann nämlich zugute halten, dass er die richtigen kritischen Begriffe einflocht, die in der Ausstellung selbst fehlen: »menschenverachtende Kälte«, »involviert in Katastrophen, Umbrüche und Vernichtungen« und er sich in der Hälfte der Redezeit ansonsten lieber mit den Digitalisierungsvorhaben des Archives beschäftigte. So kann man sich einer offenbar ungeliebten Aufgabe auch entziehen.

Der Kontrast wird umso deutlicher, wenn man beispielsweise das Telegramm liest, das Bundespräsident Heinrich Lübke zu Jüngers 70. Geburtstag schickte, in dem sich dieser völlig ungebrochen zum Kriegertum bekannte, als wäre er der Chef einer rechtsradikalen Militärjunta.

Doch es bleibt die Frage, wofür Jünger gebraucht werden wird. Die Antwort heißt, dass man mit seiner »abstrahierenden« Grundhaltung Kriege führen und aushalten kann. Denn es sind mittlerweile Tausende deutscher Soldaten, für die weder Menschenrechtsideologie noch Rohstoffdebatten adäquate Begründungen bieten, um zu töten und die Gefahr des Getötetwerdens ertragen zu können.

Dafür ist es allemal besser, sie als »fesselndes Schauspiel« im Sinne Jüngers zu betrachten.