Orte gegen das Vergessen

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Weilburger Pädagogenseminar zu Gedenkstätten als
„außerschulischer Lernort“

Juli-Aug. 2007

Die Gedenkstätte Dachau hat insgesamt nur noch sechseinhalb Personalstellen, in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg mussten Mitarbeiter entlassen werden.

Der Bericht will, dies vorweg, keinen Anspruch auf Vollständig erheben. Zu umfangreich war die Palette der Themen, die auf diesem 47. bundesweiten Gedenkstättenseminar umfangreich diskutiert wurden. Ihre Aktualität steht außer Frage. Denn: „Mit den neuen Lehrplänen scheint grundsätzlich weniger Zeit für die Behandlung der Geschichte des Nationalsozialismus zur Verfügung zu stehen, besonders in den Gymnasien.“ So zu lesen in einer vom „Gedenkstätten Rundbrief“ (2/2007) veröffentlichten Untersuchung über die “ Verankerung von Gedenkstättenbesuchen im Unterricht“. Zudem sei „eine Einsparung gerade an den Stellen im Lehrplan zu befürchten, die Gedenkstättenexkursionen vorsehen, deren Zeitaufwand die Begrenzung der Stundenzahl übersteigen würde“. Damit sind Probleme benannt, vor die sich sowohl die pädagogischen Mitarbeiter der Gedenkstätten als auch die Lehrer gestellt sehen, die an den Bildungseinrichtungen des Landes speziell mit der Geschichte des „Dritten Reiches“ befasst sind.

65 Prozent der jährlich etwa 800 000 Besucher der Gedenkstätten auf dem Gelände des ehemaligen faschistischen Konzentrationslagers Dachau sind Schüler. Ähnlich sieht es in den anderen Gedenkstätten aus. Eine große Herausforderung für die pädagogische Arbeit an diesen Orten, nicht zuletzt auch darum, weil die dafür zur Verfügung stehenden Mittel in den letzten Jahren ständig gekürzt wurden. Das hat zum einen dazu geführt, dass die Zahl der dort tätigen Pädagogen zurückgegangen ist, zum anderen die noch Tätigen mit Arbeit überlastet sind.

Es spricht für das Engagement der über 100 Pädagogen und Studierenden, die an diesem Seminar teilnahmen, dass diese bedenkliche Situation die Debatten während der Diskussionen zum Thema „Schulen und Gedenkstätten“ weder in den Vorträgen noch in den Arbeitsgruppen dominierte. Der lebhafte Beifall allerdings für Dr. Martina Tschirner von der Fuldaer Freiherr-vom-Stein-Schule: „Wir sollten uns nicht damit abfinden, dass Veränderungen in den Schulen immer wieder verbunden sind mit ökonomischen Problemen, rigideren Sparmaßnahmen“ in der Schlussrunde des Seminars, wird in den zuständigen ministeriellen Dienststellen (von dort war kaum jemand präsent) hoffentlich vernommen..

Diese Schlussrunde fand übrigens in der Stadthalle von Hadamar nach einem Besuch der dortigen Gedenkstätte statt. Hier waren von November 1940 bis August 1941 über 10 000 Kranke in den Gaskammern der Landesheilanstalt ermordet worden. Danach wurden hier noch weitere 4 817 Kranke umgebracht. Eine in der Stadthalle angebrachte Chronik klammert diesen Teil der Stadtgeschichte allerdings aus.

„Es soll kein Gras darüber wachsen“, sagte eine Pädagogin auf die Frage, was sie motiviert, sich so nachhaltig mit dem Geschehen in den Jahren 1933-1945 zu beschäftigen, diese Geschichte jungen Menschen zu vermitteln. In der Summe der Vorträge, der Diskussionen in den fünf Arbeitsgruppen und bei der Vorstellung von Beispielen aus der alltäglichen Arbeit in den Schulen wie in den Gedenkstätten, ist damit ein Hauptanlieger der pädagogischen Arbeit benannt. Das hat auch dazu geführt, dass die Gedenkstättenpädagogik, wie Prof. Dr. Alfons Kenkmann von der Universität Leipzig in seinen „Überlegungen zum Umgang mit der Geschichte der NS-Verbrechen in Schulen und Gedenkstätten“ darlegte, „einen Stand erreicht hat, der sie in die Lage versetzt, den Schulen Angebote machen zu können“.

„Veränderte Schülerschaft?“ lautete das Thema einer anderen Arbeitsgruppe. Der Begriff meinte sowohl den in einigen Bundesländern gewachsenen Anteil von Schülern mit Immigrationshintergrund als auch all die Veränderungen, die sich durch die neuen Medien ergeben haben. Mit Angeboten von Projekttagen, projektbezogenen Arbeiten, die die jugendlichen Besucher durch ganz konkrete Forschungsarbeiten wie das Erkunden von Biographien oder die Spurensuche im eigenen Umfeld (etwa nach NS-Arbeitslagern oder einer einstigen Synagoge), heranführen sollen, haben viele Gedenkstätten bereits darauf reagiert. „Entdeckendes Forschen“ heißt diese Formel. „Veränderte Schülerschaft“ heißt aber auch, dass so mancher Lehrer seine Ansprüche an die Gedenkstätten verändern muß. Dazu gehört die eigene Vor – und Nachbereitung der Besuche und die Erkenntnis, dass ein Besuch z. B. in Buchenwald nicht automatisch aus einem ungebärdigen oder gar rechten Schüler einen guten Menschen macht.