Psychologe und KZ-Häftling

geschrieben von Frank Horzetzky

5. September 2013

Victor E. Frankls Buch als Hörbuch erschienen

Juli-Aug. 2007

„Trotzdem Ja zum Leben sagen“ von Viktor E. Frankl

Hörbuch neu eingelesen von Martin Schwab

2007 Deutsche Grammophon Literatur

Als Viktor Frankl (geboren 1905, gestorben 1997 in Wien), 1942 mit seinen Eltern und seiner Frau im September 1942 in das Ghetto von Theresienstadt deportiert wurde, war er bereits ein bekannter Arzt. Er kam 1944 nach Auschwitz, Kaufering und Türkheim (zwei Nebenlager von Dachau). Seine Eltern, sein Bruder und seine Frau wurden in den Lagern ermordet. Nach seiner Befreiung ging er zurück nach Wien, wurde Privatdozent für Neurologie und Psychiat-rie an der Wiener Universität, gründete die „Österreichische Ärztegesellschaft für Psychothe-rapie“, begründete später die Logotherapie und die Existenzanalyse und war ein international anerkannter Psychiater und Psychotherapeut.

Dieses Buch gehört zu den Texten die man nur widerstrebend in den CD-Player legt – sich fragend, ist das jetzt der Moment, in dem ich das vertragen kann? – und der einen dann doch fesselt und nicht mehr losläßt und weiterbeschäftigt, lange über das eigentliche Zuhören hin-aus. Man hatte es geahnt. Denn es ist nicht so einfach, sich aus dem bundesdeutschen Alltag 2007 kommend, auf diesen 61 Jahre zurückliegenden Bericht eines KZ-Überlebenden über seine Zeit in den Lagern einzulassen. Quasi hinabzusteigen in die tiefsten Abgründe unserer deutschen Geschichte, die doch noch gar nicht so lange zurückliegen. Aber das „Wagnis“ lohnt sich.

Frankls Erinnerungsbericht entstand 1946, nur ein Jahr nach seiner Befreiung aus dem Lager. Der ursprüngliche Titel lautete: „Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager.“ Frankls Ab-sicht war eine psychologische Analyse der Situation der Häftlinge. Ihm ging es nicht um ei-nen Tatsachenbericht sondern darum, Außenstehenden die Erlebnisweise der Häftlinge ver-stehbar zu machen. Dementsprechend, und das ist eine Stärke seines Textes, nimmt die Be-schreibung ihres Denkens und Fühlens einen größeren Raum ein als die der unmenschlichen äußeren Umstände. Die SS, die Lagerverwaltung und die allgegenwärtigen Bewacher und Pei-niger finden nur nebenbei und anonym Erwähnung. Es geht dem Autor um das Leiden der unbekannten Lagerinsassen, „den harten alltäglichen Kampf der zwischen den Häftlingen tob-te“, „den kleinen Tod des gewöhnlichen Häftlings“.

Frankl stellt in beeindruckender Weise die umfassende Entwertung dar, der alles zum Opfer fiel, das nicht unmittelbar mit der Lebenserhaltung zusammenhing, einschließlich des Gefühls überhaupt Subjekt zu sein, ein Wesen mit eigenem freien Willen und persönlichem Wert. Der unpathetische Ton von Frankls Sprache zieht uns in seinen Bann. Man könnte glauben, Frankl wollte seine Leser emotional nicht überfordern, wenn er betont nüchtern berichtet, wie der „Lageralltag“ ablief, die Darstellung persönlicher Schicksale im Hintergrund lassend. Darin gleicht Frankls Beschreibung einem anderen verstörenden Bericht aus der Menschenhölle, dem später erschienenen „Roman eines Schicksallosen“ von Imre Kertes, der ebenso jede Emotionalisierung des Themas, die man erwarten könnte, vermieden hat und darum um so ir-ritierender, erschütternder, also berührender wirkte. Es ging ihm darum zu zeigen, wie der Mensch sich einerseits in so einer Situation in die unvorstellbarsten, erniedrigendsten Um-stände einfügt und andererseits seine innere Würde bewahren kann bis zum eigenen Tod.

Frankl zeigt, wie das Lagerleben den Menschen alles nehmen konnte bis auf „die letzte Frei-heit, sich zu den Verhältnissen im Lager so einzustellen“, dass er auch hier Mensch bleibt und seine Würde bewahrt, sprich sich von den unmenschlichen Verhältnissen nicht unmenschlich machen zu lassen. Frankl geht es um die Sinnfrage, um die in zentraler Weise sein späteres Lebenswerk kreisen sollte. Nicht nur ein schöpferisch leistendes und genießendes Leben habe einen Sinn. Wenn Leben überhaupt einen Sinn habe, dann gehöre auch das Leiden dazu. Un-abhängig von der Tatsache des Überlebens an sich versucht er zu ergründen, mit welcher Hal-tung der Mensch überlebt. Für ihn hat das Leben unter allen Umständen, Leiden, Not, Sterben und Tod, einen Sinn. Frankl zieht ein beeindruckendes Resümee: „Wir haben den Menschen kennen gelernt wie vielleicht noch keine Generation. Was also ist der Mensch? Er ist das We-sen, das immer entscheidet was es ist, er ist das Wesen, das die Gaskammern erfunden hat, aber zugleich ist er auch das Wesen, das in die Gaskammern gegangen ist, aufrecht und ein Gebet auf den Lippen.“

Frankl führt hier Opfer und Täter auf eine zutiefst menschliche und berührende Weise zu-sammen. Bei ihm gibt eine keinen Rassismus, keine Spur von Vorwurf an die Täter, keinen Haß, keine Verachtung. Das, worin die Stärke des Buches besteht, die Beschreibung individu-eller Nöte, mag anderen gleichzeitig als Mangel erscheinen, nämlich durch das Fehlen der Re-flektion von gesellschaftlichen Ursachen und Zusammenhängen. Aber das war nicht Frankls Anliegen, vielleicht sah er sich dazu auch nicht als berufen an. Dabei müssen wir verstehen, dass nach seiner Meinung niemand die Sinnfrage für sich allein, isoliert stellen kann. Für ihn bezieht sie das Gegenüber, den getrennten Anderen in seinem eigenen Recht, immer mit ein. Die Frage nach dem Lebenssinn ist so auch immer auf die Gemeinschaft bezogen. Gerade oh-ne diesen gemeinschaftlichen Bezug, sich der Verantwortung für die Menschen überhaupt bewusst zu sein, geht der Mensch seines Lebenssinnes verlustig.

Für uns, die wir heute nicht solchen extremen existentiellen Situationen ausgesetzt sind, stellt sich die Frage nach dem Lebenssinn auf andere Weise immer wieder neu. Victor Frankls Buch, das in Millionenauflage in vielen Sprachen erschienen ist, gehört zu den unverzichtba-ren Werken, in denen historische Erfahrungen menschlicher Existenz für die nachfolgenden Generationen aufgehoben sind.