Psychopathischer Kreuzritter?

geschrieben von Theiß Urbahn

5. September 2013

Zum gesellschaftlichen Umgang mit nazistischen Verbrechern

Jan.-Feb. 2012

Theiss Urbahn ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Im Juli 2011 meldete ein Mann knapp und militärisch per Handy: »Breivik: Kommandant. Organisiert in der antikommunistischen Widerstandsbewegung gegen die Islamisierung. Operation durchgeführt und will sich Delta ergeben.«

Delta (der Name der norwegischen Elite-Polizei) nahm den Mann kurz darauf ohne Gegenwehr fest: Anders Behring Breivik, aus einer »unauffälligen« Familie der norwegischen Mittelklasse stammend. Er hatte zuvor mit einer Bombe vor dem Regierungsgebäude in Oslo acht Menschen getötet und wenig später auf der Insel Utoya 69 Teilnehmer eines Jugendlagers der regierenden sozialdemokratischen Partei erschossen.

Nach dem ersten Schock über das Massaker in und außerhalb des Landes überschlugen sich die Medien mit Fragen und spekulativen Erklärungen, wie so etwas in einem solch »friedlichen Land« geschehen konnte. Schnell war man sich (bis auf wenige Ausnahmen) einig, dass es sich nur um einen Wirrkopf, Verrückten, Psychopathen etc. handeln könne. Allen voran der Spiegel (Nr. 31/2011), der »Die Spur des Bösen« verfolgte.

Inzwischen kam ein psychiatrischer Gutachter bei Breivik zu der Diagnose »Schizophrene Psychose«, was seine Unterbringung in einer forensischen Einrichtung zur Folge hatte. Eine spürbare, geradezu erleichterte mediale Stille trat ein. Das Fragen nach den Hintergründen erlosch. Genau das aber war die Absicht: Die Individualisierung, Dämonisierung, Psychopathologisierung eines politischen Geschehens, das nun nicht mehr hinterfragt zu werden brauchte. Dieses Muster hatte sich bereits bei der »Bewältigung« der Nazivergangenheit bewährt. Doch dem Versuch, rechtsradikales Verhalten zu entpolitisieren, liegt ein falsches, eindimensionales Menschenbild zugrunde. Der Mensch, als Gattung wie als Individuum, gleich ob »krank« oder »gesund«, wird nicht als Wesen gesehen, das in dialektischer Einheit von biologischen, psychologischen und sozialen Einflüssen erlebt und handelt, also stets zugleich Handelnder (Täter) und Behandelter (Opfer) ist.

Nach allem, was wir wissen, ging der Massenmörder nach mehrjähriger professioneller Planung sehr überlegt und rational »ans Werk«. Er hatte sich mit klarer Logik vorgenommen, die Nachwuchselite der norwegischen »Marxisten und Kommunisten« zu liquidieren. Sein Vorbild hätte der so genannte »Kommissar-Befehl« Hitlers vor dem Angriff auf die Sowjetunion sein können. Die Reaktionen z. B. der französischen Ultrarechten um Le Pen machen deutlich, wie sehr der Mörder in das Gesamtsystem der europäischen Rassisten und Neonazis passt und sich selbst einordnet.

Breivik handelte als extremer Vollstrecker der imperialistischen Staatsdoktrin in Sachen Antikommunismus und Antiislamismus. Seine gedankliche Nähe zur Mordzelle NSU in unserem Land ist evident. Alles nur Verrückte?