Rechte Heimatgefühle

geschrieben von Anne Rieger

5. September 2013

Bagatellisieren fördert Rechtsradikalismus

Sept.-Okt. 2007

Zuwachs beim Rechtsrock

Rechtsrock-CDs und Konzerte rechtsextremer Musikgruppen dienen den Neonazis als Werbe- und Rekrutierungsmittel sowie als Finanzquelle. Laut einem Innenminister-Bericht (»Finanzquellen der rechtsextremistischen Kreise«) setzen Produzenten und Anbieter rechtsextremer Musik und anderer Szenenprodukte jährlich »mehrere Millionen« um. 2006 wurden laut Innenministerium 114 Rechtsrock-CD-Titel produziert sowie rund 240 Konzerte veranstaltet. Im zweiten Quartal 2007 fanden laut Regierungsbericht über 50 Konzerte und Liederabende statt. Dabei stieg die Zahl der Besucher imVergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 15 Prozent von 5500 auf 6250.

Als Fazit einer Regionalstudie zum Rechtsextremismus kommen Wissenschaftler in Baden-Württemberg zum Ergebnis: Nicht die Existenz rechtsextremer Gruppen ist das eigentliche Problem, sondern eine politische Kultur, die eine Akzeptanz gegenüber dem Rechtsextremismus entwickelt.

»Rechtsextremismus und sein Umfeld«, mit diesem Forschungsprojekt beauftragte der von den Waiblinger IG Metall-Bevollmächtigten gegründete Verein für internationale Arbeits- und Kulturbeziehungen e.V. Rems-Murr (VIAK) Professor Josef Held von der Universität Tübingen. Die Studie sollte Einflüsse und Bedingungen erforschen, die rechtsradikale Einstellungen fördern. Neben den Wahlergebnissen der NPD und der Republikaner im Rems-Murr-Kreis wurde der Verein durch Meldungen aufmerksam, nach denen zehn Prozent der landesweit in Baden-Württemberg registrierten Skinheads in diesem Kreis zu finden seien. Die interessierende Frage war, was gibt es für besondere Bedingungen, die diese rechtsradikalen Einstellungen fördern.

Die Studiengruppe hat mehr als 300 Fragebögen an Schüler und junge Arbeitnehmer im Rems-Murr-Kreis verteilt und ausgewertet, zahlreiche Interviews, Gruppendiskussionen an Schulen und in Betrieben geführt, Lehrer, Vereinsvorsitzende, Bürgermeister befragt. Ein Mitarbeiter des Kreisjugendrings, hat vor Ort, in Jugendtreffs, Szenekneipen oder Versammlungen Gespräche geführt.

Fazit der Sozial- und Verhaltenswissenschaftler: Nicht die wirtschaftliche Situation einer Region und der Ausländeranteil seien entscheidend dafür, ob sich Rechtsextremismus Bahn breche. Der Rems-Murr-Kreis, das Untersuchungsgebiet, sei eine prosperierende Region und weise eine vergleichsweise niedrige Ausländerquote auf. Auch eine »Desintegrationsproblematik« lässt sich in diesem Kreis als Erklärung für Rechtsextremismus nicht feststellen.

Bei ihren Interviews fiel den Forschern vielmehr auf, dass Jugendliche mit extrem rechten Positionen gut in ihr dörfliches oder kleinstädtisches Milieu integriert sind und einen starken Bezug zur Heimat haben. »Die in unserer Untersuchung festgestellte lokale Orientierung steht in einem deutlichen Zusammenhang mit rechten politischen Orientierungen«, betont Held. Dort, wo man Neonazis antreffe, sei die lokale Orientierung, der Bezug zum eigenen Dorf oder der eigenen Stadt, besonders ausgeprägt. Außerdem sei die durchschnittliche politische Orientierung der Bevölkerung weiter rechts als anderswo. »Rechtsextremismus braucht eine Basis«, sagt Held. Die rechtsorientierten Akteure fühlten sich in ihrer Umgebung anerkannt und seien oft gut ins Gemeinwesen integriert. Das eigentliche Problem, so Helds Fazit, sei offenbar nicht die Existenz rechtsextremer Gruppen, sondern eine politische Kultur, in der Rechtsextremismus stillschweigend hingenommen oder akzeptiert werde.

Die Untersucher berichten von einem kleinen Ort, in dem jugendliche Skinheads öffentliche Bänke für den Dorfplatz gebaut hätten. Selbst wenn die Lage einmal eskaliere, stelle sich die Bevölkerung hinter »ihre« Jungs. Immer wieder habe man beobachtet, das die eigene rechte Szene bagatellisiert werde, sagt Held.

Überblick und Studie sind nachzulesen unter:

http://www.waiblingen.igm.de/news/meldung.html?id=12933

Die Forscher identifizierten vier typische Haltungen gegenüber den Rechtsextremen die »Individualisten«, die »Kritischen«, die »Lokalorientierten« und die »Sympathisanten«. Jede dieser Haltungen könne in unterschiedlicher Weise den Rechtsextremismus begünstigen.