Schweigen und Auflehnen

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Aufforderung, den Dichter Wolfgang Bächler zu lesen

Juli-Aug. 2007

Bücher von Wolfgang Bächler:

Die Zisterne, Esslingen 1950

Der nächtliche Gast, Frankfurt/M. 1953

Lichtwechsel 1 u. 2 (Esslingen 1955/1960)

Türklingel, München 1962

Türen aus Rauch, Frankfurt/M. 1963

Traumprotokolle, München 1972

Ausbrechen, Frankfurt/M. 1976

Stadtbesetzung, Frankfurt/M. 1979

Die Erde bebt noch, Frankfurt/M. 1982

Nachtleben, Frankfurt/M. 1982

Im Zwischenreich, München 1985

Ich ging deiner Lichtspur nach, Frankfurt/M. 1988

Im Schlaf, Frankfurt/M. 1988

Einer, der auszog, sich köpfen zu lassen, Frankfurt/M. 1990

Wo die Wellenschrift endet, Denklingen 2000

Ausbrechen/ aus den Wortzäunen,/ den Satzketten,/ den Punktsystemen,/ den Einklammerungen,/ den Rahmen der Selbstbespiegelungen,/ den Beistrichen, den Gedankenstrichen/ – um die ausweichenden,/ aufweichenden Gedankenlosigkeiten gesetzt – / Ausbrechen/ in die Freiheit des Schweigens.

Gedichte von Wolfgang Bächler aus mehr als 30 Jahren (von 1943 bis 1975) waren in einer Lyriksammlung vereinigt, die der Frankfurter S.Fischer-Verlag vor wiederum mehr als 30 Jahren, 1976, herausgegeben hat. Das Gedicht „Ausbrechen“ stand am Schluss und gab dem Band den Titel.

Die „Freiheit des Schweigens“ hat sich der Dichter Bächler, der am 24. Mai 2007 im Alter von 82 Jahren in München gestorben ist, in den folgenden Jahrzehnten noch oft genommen. Verstummt allerdings ist er, zumindest was die Wahrnehmung in der literarischen Öffentlichkeit betrifft, erst am Ende des vergangenen Jahrhunderts. In den nicht allzu üppigen Mediennachrufen war gerne vom „Bohemien“ Bächler die Rede. Ein Poet, den es aus dem Allgäu ins west-östliche Berlin verschlug, dann ins existentialistische Paris und schließlich für lange Zeit nach München-Schwabing.

Bis in die 90er-Jahre gab es immer wieder zu Büchern gewordene literarische Wortmeldungen des Mitbegründer der Gruppe 47, dem es Zeit seines Lebens und Schaffens an der „Hoppla-jetzt-komm-ich“-Attidüde mangelte, die schon 1947 im Literaturbetrieb nützlich war. Zudem war Bächler vor allem Lyriker und die haben es ohnehin schwerer.

Größere Aufmerksamkeit mit Prosatexten erfuhr er eigentlich nur mit seinem Buch „Traumprotokolle“ (1972) – eine selbsttherapeutische Maßnahme des immer wieder von schweren Depressionen Geplagten. Ein „Auskunftsbuch“ nannte er es. Die darin zwischen 1954 und 1969 entstandenen in Tagebuchform aufgezeichneten Traumepisoden können auch heute – sollte sie wieder einmal ein Verlag veröffentlichen wollen – nicht nur Analytikern, sondern auch Zeit-, Gesellschafts- und Literaturhistorikern interessante Auskünfte geben. Sprachliche Meisterstücke sind sie überdies.

Schon die Titel von Bächlers Büchern zeigen, dass da einer nicht in Wolkenkuckucksheimen wohnen wollte: „Stadtbesetzung“ (1979), „Die Erde bebt noch“ (1982), „Einer. der auszog, sich köpfen zu lassen“ (1990). Im Internet-Literaturmagazin „Titel“ war zu Bächlers 80. Geburtstag eine schöne Würdigung von Carl Wilhelm Macke zu lesen. Mit diesem Zitat: „Die jungen Deutschen meines Alters hatten besser schießen als lesen und schreiben gelernt…Ich sollte auch schießen lernen. Aber meine Hand zitterte, wenn ich schießen musste. Ich traf die Zielscheibe nicht…Ich traf die Menschen nicht…Ich schoß immer daneben. Ich hätte nur mich selber erschießen können.“

In Bächlers Träumen, seinen Gedichten, seiner Prosa, ging es immer wieder um Krieg, um den Faschismus und auch um das Aufbegehren, damit so etwas nie wieder geschehen kann. Um die „rauchenden Krater“ und den „Ruß der Rüstungsfabriken“.

Ein „Sozialist ohne Parteibuch“ sei er, hat er einmal geschrieben, „ein Deutscher ohne Deutschland“. Bei seiner Beerdigung sprachen immerhin zwei Buchverleger – und, sehr einfühlsam, ein Pfarrer, der offen gestand, dass er vorher nicht gewusst hatte, wen er da als Schäflein in seiner Gemeindekartei hatte. Weshalb er sich schnell noch in dessen Werk habe einlesen müssen. „Als ich Soldat war, sprach ich kein Gebet./Die ersten schrillen Kugeln trafen Gott.“, heißt es in einem Bächler-Gedicht.

Mitte der 80er-Jahre ist Wolfgang Bächler in die VVN-BdA eingetreten. Deren „Erinnern für die Zukunft“ entsprach seinem Welt- und Kunstverständnis. Bis zu seinem Tod ist er dabei geblieben. Gedenken wir seiner, indem wir es wie sein Pfarrer halten und uns einlesen in sein dichterisches, selten vordergründig „politisches“ Werk.