Schwierige Aufarbeitung

geschrieben von Axel Holz

5. September 2013

Symposium zu Euthanasieverbrechen in Schwerin

Mai-Juni 2008

1957 kam der bundesdeutsche Wiedergutmachungsausschuss zu dem Schluss, dass das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« nicht im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen stehe. Erst im Mai 2007 wurde mit der Bundesdrucksache 16/3811 im Bundestag über eine Erklärung im Sinne der Euthanasie-Opfer abgestimmt. Darin wird davon ausgegangen, dass das besagte NS-Gesetz nie in der BRD bestanden hat und nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Am 11. März 2008 wurde unter dem Motto »Medizinverbrechen in Schwerin in der Zeit des Nationalsozialismus« von den Helios-Kliniken gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern e. V. die zweite Vortragsveranstaltung zur Aufarbeitung der Euthanasie-Verbrechen in Schwerin durchgeführt. Seit dem Antritt von Prof. Dr. Andreas Broocks als Leiter der Flemming-Klinik hat sich zu diesem Thema in Schwerin viel getan. Zunächst wurde in einem Vortrag zum Thema »Denkzeichen« über eine Kunstaktion berichtet, die zur Erinnerung an die Tötungsstätte Sonnenburg den Weg der Opfer zur Vernichtung durch Pirna markierte. Margret Hamm sprach als Geschäftsführerin des »Bundes der Euthanasie-Geschädigten und Zwangssterilisierten e. V.« über den langen Kampf der Opfer um Anerkennung und Entschädigung. Über Jahrzehnte wurden die Euthanasie-Opfer in Westdeutschland nicht als Opfer der Nazi-Diktatur anerkannt und daher auch nicht nach dem Bundesentschädigungsgesetz entschädigt. Erst im Jahre 2002 Jahre wurde eine Entschädigung von 2.556,46 Euro für jedes Euthanasie-Opfer vereinbart und 2007 eine Rente für die Opfer erwirkt, die aber mit 120 Euro monatlich deutlich unter vergleichbaren Entschädigungen liegt und diese Opfergruppe damit erneut diskriminiert. Die Referentin bemängelte, dass die Euthanasie-Opfer auch in der DDR nicht anerkannt wurden. Die eingegrenzte Definition von »Opfern des Faschismus« auf »bewiesene Haft auf Grund organisierten antifaschistischen Widerstandskampfes in Widerstandsgruppen« als Anerkennungskriterium konnte einer umfassenden Berücksichtigung aller Opfergruppen der Nazi-Diktatur nicht gerecht werden.

Der Archivar Jens-Uwe Rost vom Schweriner Stadtarchiv stellte im Verlaufe der Tagung Teile seiner Forschungen zur Zwangssterilisation auf der Basis des faschistischen »Erbgesundheitsgesetzes« im Bereich des Schweriner Gesundheitsamtes dar. Er arbeitete heraus, dass die medizinische und soziale Stigmatisierung von bis zu einem Prozent der Bevölkerung auf dem Gebiet des damaligen Deutschen Reiches als »lebensunwertes Leben« vor allem die sozial schwächeren Schichten der Bevölkerung traf und auch zur Abschreckung und Bestrafung politischer Gegner und unangepasster Menschen diente.

Derzeit wird in den Schweriner Helios-Kliniken und anschließend im Schweriner »Dokumentationszentrum für die Opfer der Diktaturen in Deutschland« eine Ausstellung über Prozesse gegen Euthanasie-Täter aus dem Jahre 1947 in Dresden gezeigt, die auch aus heutiger Sicht rechtstaatlichen Standards standhalten würden. Die Täter wurden zum Tod, bzw. zu hohen Haftstrafen verurteilt. Auch in Schwerin fand ein Prozess gegen Euthanasie-Täter statt, der mit Todesurteilen endete, die später in Haftstrafen umgewandelt wurden. Einer der Hauptverantwortlichen der Euthanasie-Morde in Schwerin, der Klinikleiter Dr. Leu, konnte sich durch Flucht in den Westen seiner Verantwortung entziehen. Dort wurde er später, wie viele seiner Mittäter, in einem erneuten Prozess freigesprochen.

An der Finanzierung der Gedenkstele haben sich neben den Helios-Kliniken und der Landeszentrale für Politische Bildung auch die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und die VVN-BdA Schwerin beteiligt.

Nach dem ersten Symposium der Helios-Kliniken zur Aufarbeitung der Euthanasie-Verbrechen während der Nazi-Diktatur in Schwerin zu Jahresbeginn 2007 wurden mittlerweile zwei von der Klinikleitung abgegebene Versprechen eingelöst. Zum einen wurde der bei der Aufarbeitung der Euthanasie-Verbrechen verdienstvolle »Freundeskreis Sachsenberg e.V.« neu belebt und andererseits das Projekt der Errichtung einer Gedenkstätte für Euthanasie-Opfer auf dem Gelände der Schweriner Helios-Kliniken in Angriff genommen. Nahezu 1.000 Menschen wurden in der Nazi-Zeit von hier aus in Vernichtungslager überstellt oder zwangssterilisiert. Bereits Anfang Dezember 2007 hatte sich in Schwerin eine Jury für die Errichtung einer Keramik-Stele von Dörte Michaelis zum Gedenken an die Euthanasie-Opfer auf dem Gelände der heutigen Schweriner Flemming-Klink entschieden. Die bunten Keramikstelen würden farbenfrohe Heiterkeit verbreiten und die Verschiedenartigkeit der Menschen symbolisieren, so die Künstlerin. Auch der Historiker Prof. Matthias Pfüller vom Verein für Politische Memoriale e. V. freut sich über die Wahl. Wir bräuchten keine neue »Kranzabwurfstelle«, dafür aber Orte, die zu diesem Thema neue Zugänge eröffneten. Das Denkmal soll am 2. Mai 2008 eingeweiht werden. Am selben Tag wurde 1945 das KZ Wöbbelin in der Nähe von Ludwigslust befreit.