Spottlustig und mutig

geschrieben von Elfriede Brüning

5. September 2013

Zum 100. Geburtstag von Berta Waterstradt

Juli-Aug. 2007

Wir kannten uns schon seit den dreißiger Jahren. Beide waren wir Mitglied im „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“, den Johannes R. Becher mit anderen 1928 gegründet hatte. Berta war schon seit längerem dabei, stand mit Becher, Friedrich Wolf, Anna Seghers und anderen, die ihre Verse schätzten, auf vertrautem Fuß. Im Januar 1933 wurde der Bund sofort verboten. Die prominenten Mitglieder, sofern sie sich nicht rechtzeitig über die Grenze hatten retten können, kamen in Konzentrationslager und wurden, wie Erich Mühsam und Carl von Ossietzky, grausam gefoltert. Wir Jungen aber blieben vorläufig ungeschoren. Wir wollten weiter zusammenkommen, jetzt nur in Dreiergruppen, und weiter schreiben, wahrheitsgetreue Beiträge über das Leben im Dritten Reich, die anonym im Ausland erschienen, vornehmlich in den „Neuen deutschen Blättern“, die Wieland Herzfelde im Malik-Verlag herausgab.

Nach unserer Verhaftung 1935 traf ich Berta bei der ersten Vernehmung in der Prinz-Albrecht-Straße wieder. Sie schien ungebrochen und bot den Gestapoleuten mutig Paroli. Sie war nicht kleinzukriegen, nicht einmal bei der Gerichtsverhandlung gegen uns Bund-Mitglieder, auf der sie unverfroren ihr Spottgedicht auf Hitler (nach der Melodie „eine Seefahrt, die ist lustig“), nur um einige Schärfen gemildert, rezitierte, was sogar dem Nazirichter ein Lächeln entlockte. Sein vorgefasstes Urteil: zweieinhalb Jahre Gefängnis, beeinflusste das indes nicht. Dass Berta, die Jüdin, die Nazizeit überlebte, verdankte sie ihrem „arischen“ Ehemann Rudi, dem Urberliner, der treu zu ihr hielt und sie dadurch vor der Deportation bewahrte. Wovor er sie nicht schützen konnte, war die ihr auferlegte Zwangsarbeit bei Siemens, die sie aber ergeben ertrug, immer das Ziel vor Augen, dem sie sich Tag für Tag näher wähnte, der endgültigen Zerschlagung des Nazireiches und dem Neuaufbau eines Staates nach dem Vorbild der Sowjetunion, in der damals, wie wir glaubten, die Arbeiter herrschten, nachdem Lenin die Kapitalisten davongejagt hatte.

Nach ´45 arbeitete Berta zunächst beim Rundfunk, wo sie Literatursendungen verfasste. Doch bald begann sie, eigene Sachen zu schreiben. Bereits 1946 entstand ihr Hörspiel „Während der Stromsperre“, das sie mit einem Schlag bekannt machte, zumal Kurt Mätzig den Stoff als Vorlage für den Film „Die Buntkarierten“ benutzte, der außerordentlich erfolgreich war und noch heute zu den Klassikern der ersten Nachkriegszeit zählt. 1949 erhielt Berta, zusammen mit dem Defa- Kollektiv, den Nationalpreis. Ein Erfolg, den sie allerdings teuer bezahlen musste, denn Rudi, ihr bis dahin so getreuer Ehemann, gefiel sich nicht in der Rolle des Prinz-Gemahls und suchte Trost bei einer anderen, weniger berühmten Frau. Fünfmal kam er reumütig zu Berta zurück, fünfmal nahm sie ihn wieder auf. Aber das sechste Mal verschwand er auf Nimmerwiedersehen.

Berta stürzte sich in die Arbeit. weitere Hörspiele entstanden, auch Bühnenstücke und alle hatten Erfolg, wenn sie auch an den Ruhm ihres ersten Hörspiels nicht heranreichen konnten. Der Name Waterstradt blieb eben ein Synonym für „Die Buntkarierten“. Später reiste sie im Auftrag des „Magazin“ zusammen mit der Illustratorin Elisabeth Shaw durch die DDR und goss alles, was sie dort sah und erlebte, in freche Verse, die Elisabeth mit ihren nicht minder frechen Zeichnungen kräftig würzte, so dass die Auflage des Blättchens, nicht zuletzt wegen dieser „Reiseberichte“, stieg und stieg, aber immer wieder wegen der Papierknappheit gedrosselt wurde. Daneben entstanden von Berta Bearbeitungen nach Werken von Georg Hermann, Clara Fiebig und Theodor Fontane. Und 1985 erschien endlich auch noch einmal ein Buch von ihr: „Blick zurück und wundre dich“, in dem sie heiter-ironisch aus ihrem Leben erzählt. Dieses Buch wünschte man sich zu Bertas Hundertstem in einer Neuausgabe: als lehrreiche Lektüre für junge Menschen, die die Zeit des Faschismus und der ersten schweren Nachkriegsjahre nur aus dem Geschichtsunterricht kennen.

Haben sich Bertas Jugendträume in der DDR erfüllt? Ach, sie war ein zu kritischer Geist, sie rieb sich an zu vielen Unebenheiten. Aufmerksam verfolgte sie alle Debatten im Schriftstellerverband, aber nie meldete sie sich von selber zu Wort. Sie beschränkte sich auf Zwischenrufe, die allerdings immer genau ins Schwarze trafen. Die Dogmatiker unter uns misstrauten ihr und heute weiß man, dass die Stasi die aufmüpfige Autorin schon frühzeitig beschattete. Denn war sie nicht freundschaftlich mit Stephan Heym verbunden, mit Günther Kunert, Gustav Just und anderen, die sogar Westjournalisten gegenüber ihre Kritik an der DDR freimütig äußerten?

Bertas Tod, im Mai 1990, kam völlig überraschend. Zu ihrem hundertsten werden wir in der Altheider Straße in Adlershof, Bertas jahrzehntelangem Wohnsitz, eine Gedenktafel enthüllen, mit der an sie erinnert wird: an eine Autorin, die stets, in ihren Werken und ihrem persönlichen Leben, sich selber treu blieb, weil sie mit spitzer Feder, mit Humor und Ironie, oft sogar mit verletzendem Spott um die Wahrheit stritt.