Standhaft und mutig

geschrieben von Gerhard Kummer

5. September 2013

Else Raßmann aus der Widerstandsgruppe Neubauer/Poser

Sept.-Okt. 2008

Das Berufsleben von Else Raßmann war bestimmt von der Arbeit in der 1956 gegründeten LPG, in der sie als Tierpflegerin ihre Arbeit verrichtete, bis sie in ihr Rentnerleben eintreten konnte. Doch von einem Ruhestand konnte dabei keine Rede sein. Nun ging sie in die Schulen und berichtete im Geschichtsunterricht über ihr Erleben in der Illegalität und im Widerstand gegen den Faschismus. Selbstverständlich gehörte zur ihrer gesellschaftlichen Betätigung auch die Mitarbeit in ihrer Ortsparteigruppe, die Mitarbeit im Sportbund, im Elternaktiv und in der VdN-Kommission bei der Betreuung von älteren Widerstandskämpfern und Verfolgten des Naziregimes.

Am 17. Juli dieses Jahres, wenige Wochen vor ihrem 98. Geburtstag, verstarb Else Raßmann aus Zella-Mehlis, eine der letzten noch lebenden Widerstandskämpferinnen in Thüringen. Wer im Ortsteil Mehlis nach einer Else Raßmann fragte – und so selten ist der Name hier nicht – der erhielt vor allem von älteren Leuten die Antwort: „Sie meinen bestimmt die Raßmanns Else…«. Nun – auf den ersten Blick gab es da kaum einen Unterschied. Nur, dass in der Antwort unausgesprochen mitschwang: »…unsere Else, unsere Else Raßmann.«

Ein Buch bedürfte vieler Seiten, um die Schwere und Länge des Weges zu beschreiben, den sie als Kind armer Eltern, als leidenschaftliche Streiterin für soziale Gerechtigkeit und als in jeder Situation unbeugsame Kämpferin gegen Faschismus und Krieg zurückgelegt hat. Tatsächlich wurde viel über sie geschrieben und wird es wohl auch weiter werden. Doch das war ihr nicht wichtig, mehr schon die achtungsvolle Wärme die ihr entgegengebracht wurde von ihren Genossen, von ihren Gefährten im antifaschistischen Widerstandskampf und von den vielen Mitbürgern, die in ihr »unsere Raßmanns Else« sahen.

Wenn die Rede auf die Stationen kam, durch die sich ihr Lebenslauf von herkömmlichen Biografien unterschied, dann ging es ihr in allererster Linie darum, Erfahrungen, Erkenntnisse und Lehren ihrer politischen Arbeit weiterzugeben. Ihr Leben lang hat sie das versucht, vor allem im geduldigen Gespräch mit jungen Menschen. Längst den Kinderschuhen, der Jugendweihe und der Lehre Entwachsene erinnern sich bis heute an sie. An Else Raßmann beeindruckte vor allem die Standhaftigkeit, die sie nach der Machtzuschiebung an die Hitlerfaschisten im Konzentrationslager Bad Sulza sowie in den Gefängnissen Hohenleuben und Gräfentonna bewies. Trotz Kerkerhaft und Bespitzelung, trotz Krankheit und schwerer Sorgen – die Nazis haben es nie vermocht, sie in die Knie zu zwingen.

Ältere sprechen achtungsvoll von Elses Ehe mit ihrem Hans. Wie beide in ihrer Wohnung gefährdete Hitlergegner verbargen. Wie sie antifaschistische Schriften nicht nur »unter der Hand« weitergaben, sondern auch kofferweise beförderten. Und wie beider Sorgen und Mühen – in ihren Atempausen zwischen Zuchthaus und KZ – dem so unsagbar schweren kommunistischen Auftrag galten, aufrichtige, ehrliche, dem Humanismus verpflichtete Menschen für den Widerstand gegen die braune Barbarei und deren Krieg zu gewinnen.

Lebten Magnus und Lydia Poser noch, so knüpften sie mit Sicherheit an den roten Faden an, der sie und die Raßmanns seit gemeinsamer Haft miteinander verband. Im Dezember 1933 und Frühjahr 1934 war das gewesen. Und es ginge nicht um ein belangloses »Weißt du noch?«, sondern um das mutige Zusammentun in der Widerstandsgruppe Neubauer/Poser Die Begegnungen auch im Hause der Raßmanns, das nahe dem Mehliser »Einsiedel« liegt. Der Transport kaum handtellergroßer Flugblätter in von Magnus gefertigtem Spielzeug. Die Entlarvung eines Spitzels namens Thieme, der den Gestapo-Leuten nicht wenige Hitlergegner ans Messer lieferte. Und nicht zuletzt die kritische Sichtung all dessen, was erreicht worden war; das Verbindungsgeflecht, das Jena, Suhl und andere Orte im Thüringer Wald miteinander verband, die Einbeziehung von immer mehr Menschen in den Widerstand und das gemeinsame Arm-in-Arm mit ausländischen Zwangsarbeitern, deren in den Zella-Mehliser Rüstungsfabriken vergossener Schweiß sich in todbringende Waffen gegen ihre eigenen Völker verwandelte.

Ist das alles nur Geschichte? Else Raßmanns selbstloser Einsatz für das oberste Menschenrecht, den Frieden, für soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde, für von brauner Barbarei befreite Menschlichkeit richtete sich gegen ein System, über das die Geschichte vor Jahrzehnten den Stab gebrochen hat. Und doch wissen wir seit Brecht: »Der Schoß ist fruchtbar noch!« Stößt unsere von neonazistischen Aufmärschen, von rechtsextremistischen Aktionen, von Hasstiraden gegen Andersdenkende, von braun gefärbten Ideologen überzogene Gegenwart nicht geradewegs dazu an, sich des Vorbilds anzunehmen, das so überzeugend von den Neubauer und Poser und ganz und gar nicht zuletzt von einer einfachen Mehliser Frau vorgelebt worden ist? Sie bleibt uns unvergessen: Unsere Else.