Steinbach daheim im Reich?

geschrieben von Renate Hennecke

5. September 2013

Ost-Ortskunde im Organ der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Juli-Aug. 2011

Und wieder fand, zum 62. Male, Pfingsten der Sudetendeutsche Tag statt. Motto des Spektakels diesmal: »Dialog und Wahrheit – Nachbarschaft gestalten«. Das hört sich freundlich an. Hat sich die Landsmannschaft zum Besseren gewandelt? Ein Blick in die »Sudetendeutsche Zeitung« lehrt: mitnichten. Auf der Titelseite der Ausgabe vom 20. Mai 2011 beispielsweise, schon vor dem Sudetendeutschen Tag, findet man einen Artikel des Chefredakteurs Herbert Fischer (Kürzel hf) mit der Überschrift: »Kein Kirchenzutritt für Steinbach«. Laufzeile: »Die BdV-Präsidentin besucht erstmals ihren Geburtsort im heute polnischen Westpreußen.«

Vordergründig geht es in dem Artikel um die bösen »polnischen Steinbach-Hasser«, die sich partout über den Besuch nicht freuen wollten, und um den widerspenstigen Redemptoristen-Orden, der angeblich Steinbach am Betreten einer Kirche zwecks Kranzniederlegung zum Gedenken an 1945 in der Ostsee ertrunkene Flüchtlinge hindern wollte. In anderen Zeitungen war zu lesen, dass der zuständige Schlüsselinhaber es lediglich ablehnte, für Steinbach eine Extrawurst zu braten und die Kirche außerhalb der normalen Öffnungszeiten aufzusperren.

Interessant an dem Artikel ist jedoch nicht die (in Wirklichkeit sehr gelassene) polnische Reaktion auf Erika Steinbachs Reisepläne. Bemerkenswerter sind die Implikationen sorgfältig formulierter Sätze, mit denen Herbert Fischer seine Sicht auf die deutsch-polnische Geschichte kundtut. Da ist zuerst die Rede von Steinbachs »Geburtsort Rahmel in Westpreußen, der bereits seit 1945 zu Polen gehört«. Wahrlich ein Meisterstück der verschleiernden und doch alles enthüllenden Sprache!

Wir erfahren daraus, dass der Ort Rumia – deutsche Bezeichnung: Rahmel – nicht innerhalb der Gebiete liegt, die nach 1945 in den westdeutschen Schulatlanten als »z.Zt. unter polnischer Verwaltung« eingezeichnet waren und Leuten wie Fischer bis heute als deutsche Territorien gelten. Tatsächlich liegt Rumia einige Kilometer nordwestlich von Gdynia – frühere deutsche Bezeichnung Gdingen; 1939-45 »Gotenhafen« – und damit außerhalb der Vorkriegsgrenzen des Deutschen Reiches im so genannten Polnischen Korridor. In einem Gebiet also, das zum Königreich Polen gehört hatte, bis dieses Ende des 18. Jahrhunderts von Preußen, Österreich und Russland zerteilt und stückweise annektiert wurde. Rund 130 Jahre später, nach dem ersten Weltkrieg, wurde es laut Versailler Vertrag Teil des wieder errichteten polnischen Staates.

Die Weimarer Republik erkannte die Grenze nie völkerrechtlich an, die Nazis radierten sie militärisch aus, und für Herbert Fischer wurde »Westpreußen« erst 1945 polnisch. Bis dahin muss es denn wohl deutsch gewesen sein. Hielt sich also Erika Steinbachs Familie zum Zeitpunkt ihrer Geburt ganz zu Recht dort auf, »wohin ihr Vater dienstverpflichtet worden war«? Dass sie aus einer »Besatzerfamilie« stamme, kann Fischer nur als böswillige polnische Unterstellung betrachten und muss es durch Anführungszeichen entsprechend kennzeichnen. Als Urheber dieser Verleumdung nennt er »Benedykt Wietrzykowski, Chef des Verbandes jener Polen, die das 1919/20 von Polen annektierte Westpreußen nach dessen Rückeroberung 1939/40 wieder verlassen mussten«. Vertriebene? Nein, sie mussten eben einfach »Westpreußen wieder verlassen« und Platz machen für Deutsche aus Bessarabien oder dem Baltikum, die die Nazis ab 1939 »heim ins Reich« holten.

Ein Zufall wird es da kaum sein, wenn Fischer Steinbach nicht nach Gdynia, sondern nach »Gotenhafen/Gdingen« reisen lässt, mit der Nazi-Bezeichnung an erster Stelle. Eine Stadt »im heute polnischen Westpreußen«. Auch kein Zufall ist es, wenn in der Sudetendeutschen Zeitung immer wieder die Bezeichnung »Mitteldeutschland« für das Gebiet der fünf östlichen Bundesländer gebraucht wird, was folgerichtig bedeutet, dass es auch ein östlich von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen gelegenes Ostdeutschland geben muss. »Dialog und Wahrheit – Nachbarschaft gestalten«. Die Nachbarn sollten, was die Sudetendeutsche Landsmannschaft betrifft, weiterhin wachsam bleiben.