Und die Überlebenden?

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Staatliche Gedenkstättenpolitik weiter in Schieflage

Juli-Aug. 2008

Die Proteste des Zentralrates der Juden, der Sinti und Roma, der Lagergemeinschaften der KZ-Gefangenen, vor allem aber auch die der internationalen Opferverbände, haben die Diskussion um die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes beeinflusst. Der nun von der Bundesregierung abgesegnete Entwurf enthält eine deutliche Klarstellung: Die Einmaligkeit der Verbrechen des deutschen Faschismus wird pointiert und von den gesellschaftlichen Verhältnissen in der SBZ und der DDR abgesetzt. Doch das Credo der bundesdeutschen Gedenkpolitik die Totalitarismusthese bleibt. Nach wie vor widmen sich neun Seiten des 31 Seiten starken Entwurfs der »Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur«. Zweieinhalb Seiten bleiben übrig für »Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Herrschaft«.

Der Entwurf ist als Vorlage für den Kulturausschuss des Bundestages erarbeitet worden, der nun über ihn beraten wird, obwohl das Kabinett ihm bereits zugestimmt hat. In seine Erarbeitung und in die Kabinettsentscheidung wurden weder die Opferverbände noch die Gedenkstätten einbezogen. Ganz zu schweigen von einer öffentlichen Diskussion oder einer anderen Form von Beteiligung der Zivilgesellschaft. Wird Erinnerungskultur nun also staatlich verordnet? Das wird nicht funktionieren.

Das erneuerte Konzept der Bundesregierung trägt an keiner Stelle der Tatsache Rechnung, dass es sich bei den NS-Gedenkstätten um europäische Orte der Erinnerung handelt.

Seit 1942/43 stammte die Mehrzahl der Gefangenen in den Konzentrationslagern aus den von deutschen Okkupanten besetzten Gebieten. Dennoch ist eine Mitwirkung der betreffenden europäischen Länder bei der Gestaltung der Zukunft des Erinnerns offensichtlich nicht erwünscht. Wäre es nicht endlich an der Zeit, sich mit den noch Überlebenden zusammenzusetzen und gemeinsame Konzepte zu entwerfen, wie der Opfer gedacht, über die Verbrechen und die Täter aufgeklärt und Lehren aus der Geschichte vermittelt werden können?

Der Bundesausschuss der VVN-BdA, in der Überlebende aus Konzentrationslagern, aus dem zivilen und militärischen Widerstand, Zwangsarbeiter und rassisch Verfolgte organisiert sind, erwartet von der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes:

1. Dem Gedenken und Erinnern an die NS-Zeit, an Verfolgung und Widerstand aber auch der kritischen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Ursachen für den Terror im Inneren sowie für den Holocaust, den Völkermord und Vernichtungskrieg klare Prioritäten einzuräumen.

Wir meinen, dass das darin abgehandelte Pflichtprogramm zum Thema »Gedenkstätten und Erinnerungsorte zur NS-Herrschaft« weder der Dimension und Einmaligkeit der NS-Verbrechen, noch der daraus oftmals beschworenen Verantwortung der bundesdeutschen Gesellschaft gerecht wird.

2. Wir fordern, alle Kernaufgaben der Gedenkstätten: Erinnern, Aufklären, Vermitteln und Forschen, sowie die klassisch musealen Aufgaben: Sammeln, Bewahren und Darstellen, durch eine langfristige institutionelle Förderung abzusichern. Nur mit uneingeschränkter öffentlicher Unterstützung können Gedenkstätten ihre erinnerungspolitischen Aufgaben wahrnehmen. Nur so können sie ein kritisches Geschichtsbewusstsein und Verantwortungsbewusstsein für das Heute vermitteln und erfolgreich wirken gegen Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus und für eine Welt ohne Krieg und Faschismus.

Danke, Barbara Distel

Barbara Distel wird am 1. August in den Ruhestand versetzt. 33 Jahre lang war sie Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, die in diesen Jahren zur meistbesuchten deutschen Gedenkstätte zur Erinnerung an Verfolgung und Widerstand im Faschismus geworden ist. Sie hätte gerne noch weitergemacht. Der Stiftungsrat Bayerische Gedenkstätten hat jedoch der international renommierten Gedenkstättenleiterin eine Vertragsverlängerung verweigert. Wir danken Barbara Distel, die ihre Erinnerungsarbeit immer auch als Beitrag gegen heutigen Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus verstanden hat. Das hat sie für die Regierenden zu einer mitunter unbequemen Partnerin gemacht. Hat sie doch deren Sonntagsreden stets an den Taten gemessen.

3. Die in internationalen Lagerarbeitsgemeinschaften organisierten Häftlinge haben den Aufbau einer Reihe von Gedenkstätten mit initiiert und durchgesetzt und ihren Ausbau kritisch begleitet. Diese Gremien in denen (noch) Zeitzeugen, aber auch Angehörige ehemaliger Häftlinge, Historiker und andere interessierte Menschen aus vielen Ländern engagiert mitarbeiten, sollten auch künftig in den Beratungsgremien der Bundesregierung, wie auch in den Gedenkstätten, Sitz und Stimme haben, um ihre Erfahrungen einzubringen. Die im Entwurf vorgesehene »jährliche Zusammenkunft der Bundesregierung mit »Vertretern von Opfer- und Betroffenenverbänden, sowie Bürgerinitiativen«, deren Zusammensetzung unklar bleibt, kann dies auf keinen Fall leisten.

4. Die Gedenkstätte Ravensbrück, einziger Erinnerungsort an die vom Naziregime verfolgten Frauen, sollte in die »ständige Konferenz der Leiter NS-Gedenkorte im Berliner Raum« einbezogen werden.

Zur Erinnerungskultur gehört unserer Ansicht nach aber auch, die Erinnerung an die Periode nach der Befreiung vom Faschismus nicht nur auf die SBZ und die DDR zu beschränken, und damit die Totalitarismus-Doktrin zu fundamentieren, sondern die Zeit des Kalten Krieges in der Bundesrepublik einzubeziehen, in der antifaschistische Widerstandskämpfer unter dem Vorwurf kommunistischer Untriebe häufig wieder vor den gleichen Richtern standen, die sie vor 1945 wegen ihres Widerstandes gegen das Nazi-Regime verurteilt hatten. Erinnerungspolitik muss spätestens seit dem 3. Oktober 1990 in gesamtdeutschen Zusammenhängen gedacht werden.