Unter der roten Fahne

geschrieben von Ulrich Schneider

5. September 2013

Der Kampf um die Wiederherstellung des Obelisken in Stukenbrock

Sept.-Okt. 2012

Seit über 65 Jahren erinnert die Gedenkstätte Stukenbrock an das Massenverbrechen der Nazis an sowjetischen Kriegsgefangenen und anderen Verfolgten im Stalag 326 (VI K). Über 300.000 Kriegsgefangene waren hier interniert, etwa 65.000 von ihnen wurden ermordet. Bereits im Mai 1945 hatten die Überlebenden zur Erinnerung an ihre ermordeten Kameraden als Mahnmal einen Obelisken errichtet, an dessen Spitze eine symbolisierte rote Fahne prangte. Die Einweihung dieses Denkmals erfolgte in Anwesenheit aller Siegermächte und unter Beteiligung deutscher Antifaschisten.

Doch der Kalte Krieg machte auch vor diesem sowjetischen Ehrenmal nicht Halt. 1956 wurde die symbolisierte Fahne vom Obelisken entfernt und durch ein russisch-orthodoxes Kreuz ersetzt. In den 60er Jahren fanden in Lemgo Christen, Kommunisten und junge Sozialdemokraten aus dem ostwestfälischen Raum zusammen, um an dieser Stätte des Todes Menschen der verschiedensten politischen Richtungen und Bekenntnisse zusammenzuführen, um gegen Krieg und Faschismus zu demonstrieren. Seit 1967 finden an diesem Ort anlässlich des 1. September politische Gedenkveranstaltungen statt. Seit 1970 ist der Träger dieser Aktivität der Arbeitskreis »Blumen für Stukenbrock«.

Aus dessen Reihen kam vor einigen Jahren die Initiative zur Rekonstruktion des Obelisken in seine historische Form, d.h. die Wiederherstellung der roten Fahne auf der Spitze. 2005 beschloss die nordrhein-westfälische Landesregierung, diesem Vorschlag zu folgen, jedoch gab es seitens der Bezirksregierung hinhaltenden Widerstand. 2011 wurde die neu gewählte Ministerpräsidentin Kraft vom Arbeitskreis »Blumen für Stukenbrock« an den Beschluss von 2005 erinnert – und tatsächlich erklärte sie, dass nun die Umgestaltung vorgenommen werden solle. Das rief den CDU Stadtverband Schloss Holte auf den Plan, der erschrocken argwöhnte, nun werde »ein Symbol für stalinistische Verbrechen an der Menschheit, Unterdrückung, Willkür und Brutalität – auf dem Boden der Stadt Schloß Holte-Stukenbrock« errichtet. Als nun auch der russische Generalkonsul im Juni 2012 verkünden konnte, dass mit der russisch-orthodoxen Kirche eine Vereinbarung darüber getroffen worden sei, was mit dem kirchlichen Symbol geschehen solle, zogen die »Kämpfer gegen den Stalinismus« alle Register der politischen Einflussnahme. In einem Brief an Bundespräsident Gauck forderten fünf CDU-Abgeordnete, unter ihnen der Europaabgeordnete Elmar Brok, dessen Einsatz gegen die Wiederherstellung des Obelisken, stehe doch zu befürchten, »dass weite Teile der Bürgerinnen und Bürger sich künftig weigern werden, den Ehrenfriedhof zu betreten und der Toten und der Gräueltaten dort vor Ort zu gedenken.« Angeblich seien selbst Angehörige der sowjetischen Kriegsopfer gegen diese Umgestaltung und Elmar Brok verwies auf prominente Unterstützer aus dem Ausland: »Der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves und der lettische Ministerpräsident Valdis Dombrovski hatten sich in Briefen an ihn gegen die Aufstellung von Symbolen, die für Terror stünden, ausgesprochen.«

Auch die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten wandte sich daraufhin in einem Schreiben an Bundespräsident Gauck und forderte ihn auf, sich dieses Anliegen der CDU-Abgeordneten nicht zu eigen zu machen.

Seit vielen Jahren gebe es gesellschaftliche Initiativen zur Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands. »Wir begrüßen auch im Namen der russischen, weißrussischen und ukrainischen Kriegsveteranen, die Mitglied in unserem Dachverband sind, dass diese Initiativen endlich zu einem positiven Ergebnis geführt haben. Die Behauptung, dass Besucher aus den GUS-Staaten sich gegen die Rekonstruktion aussprechen, dürfte … einer sehr selektiven und subjektiven Wahrnehmung entsprechen. Auch der Hinweis von Herrn MdEP Elmar Brok auf die ablehnende Haltung des estnischen Präsidenten und lettischen Ministerpräsidenten kann nicht überzeugen. Beide baltischen Politiker sind in den vergangenen Monaten dadurch politisch ins rechte Abseits geraten, dass sie in ihren Ländern Angehörige von SS-Verbänden, die an antisemitischen Massenmorden beteiligt waren, als ›Freiheitskämpfer gegen den Bolschewismus‹ geehrt haben.«

Zum 1. September 2012 spricht der DGB-Vorsitzende Michael Sommer auf der Gedenkkundgebung. Es ist zu erwarten, dass er auch zu diesem Konflikt klare Worte findet und damit deutlich macht, dass sich die Gewerkschaften in antifaschistischer Tradition gegen geschichtsrevisionistische Bestrebungen in der Tradition des Kalten Krieges wehren.