Verfassungsbrüche

geschrieben von Gabriele Heinecke

5. September 2013

Gabriele Heinecke zum Thema: Je mehr Not, desto mehr Notstand

Sept.-Okt. 2007

Der nachstehende Beitrag ist ein Auszug aus dem Vortrag »Gegen den Notstand der Republik«, den Gabriele Heinecke am 30. Januar 2007 auf einer Veranstaltung des ver.di-Bezirks München mit dem Titel »Je mehr Not, desto mehr Notstand« gehalten hat. Die Dokumentation der gesamten Veranstaltung, bei der neben Heinecke auch der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), referierte, wurde von ver.di München, Arbeitskreis »Aktiv gegen Rechts« als Broschüre herausgegeben. Sie kann bestellt werden bei:

Hedwig Krimmer, ver.di Bezirk München, Schwanthaler Str. 64, 80336 München

Die seit Jahren schleichend und nun von der Gro-ßen Koalition mit dem Ruf nach »Normalität« und dem »unverkrampften Umgang mit der Nationalgeschichte« in scharfem Tempo vorangetriebenen Rechtsänderungen sind Maßnahmen des entfesselten Verfassungsbruchs. Sie bedeuten nicht nur die Aufgabe der in der Geschichte dieses Landes schwer erkämpften demokratischen Rechte, sondern sind Schritte zur flächendeckenden Löschung der aus dem Faschismus gezogenen Lehren aus dem Bewusstsein dieser Republik.

Seit dem englischen Habeas Corpus Act von 1679 sowie der Verfassung der französischen Republik von 1793 zeichnet sich die bürgerliche Demokratie durch Schutzrechte aus, die staatsfest sind und nicht angetastet werden dürfen. Heute wird unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung dieser Grundsatz in sein Gegenteil verkehrt. Die geltende Staatsraison besteht in der Aufrüstung des Staates gegen den Bürger, der Ausnahmezustand wird bereits täglich gelebt. Die bürgerlich-demokratische Freiheit droht endgültig zu Tode geschützt zu werden, die Demokratie befindet sich im Zustand der beschleunigten Zersetzung.

Gabriele Heinecke ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Strafrecht in Hamburg. Sie hat Jura in Göttingen, Freiburg und München studiert und ist Mitglied im Bundesvorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V. Seit Jahrzehnten vertritt sie Akteure antifaschistischer, politischer Kunst im Spannungsfeld von Verwaltungsrecht, Verfassungsrecht und Strafrecht und erwirkte in diesem Zusammenhang grundlegende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (u.a. »Anachronistischer Zug«). Sie verteidigte den langjährigen DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph im sogenannten »Politbüroprozess«; den des zehnfachen Mordes angeklagten Safwan Eid im Lübecker Brandanschlagsprozess; im Klageerzwingungsverfahren die Eltern des bundesweit ersten Opfers eines gewaltsamen Brechmitteleinsatzes, Achidi John; sie war im Entschädigungsverfahren gegen die BRD an der Vertretung von Überlebenden des von SS-Angehörigen am 10. Juni 1944 in Distomo/Griechenland begangenen Massakers beteiligt, und sie vertritt gegenwärtig Überlebende des am 12. August 1944 in Santa Anna/Italien von deutschen SS-Einheiten begangenen Massakers in dem von der Staatsanwaltschaft Stuttgart geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (Nebenklage).

Bei der Verabschiedung des Grundgesetzes war selbstverständlich, dass nie wieder staatliches Handeln geheim und unkontrollierbar sein, es nie wieder Institutionen wie Reichssicherheitshauptamt und Gestapo geben durfte. Die Besatzungsmächte genehmigten das Grundgesetz unter dem verfassungsrechtlich zwingenden Vorbehalt des Polizeibriefes vom 14. April 1949, dem Gebot der Trennung der Vollzugspolizei und der Geheimdienste und der strikten Beschränkung bundespolizeilicher Aufgaben.

Das unverzichtbare Trennungsgebot wird täglich mit Einrichtungen wie dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ, Berlin), dem Nationalen Lage- und Führungszentrum für Sicherheit im Luftraum (Kalkar), dem Informations- und Analysezentrum »Internationaler Terrorismus« (Berlin, Treptow) oder dem Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASiM, Berlin) durchbrochen. Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz und das Antiterrordateigesetz legalisieren und erweitern den Verfassungsbruch.

Bei der Verabschiedung des Grundgesetzes war selbstverständlich, dass eine Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit, zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben einzuhalten ist. Diese Trennung fiel nicht erst mit der Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in eine dem Grundgesetz unbekannte und damit ohne verfassungsrechtliche Grundlage bestehende Bundespolizei im Jahre 2005. Seit Jahren wird der Einsatz der Angehörigen dieser Polizeibehörde im In- und Ausland praktiziert. Mit dem Weißbuch 2006 wird zum nächsten Angriff auf die Verfassung geblasen: der Änderung des Grundgesetzes zum Einsatz der Bundeswehr im Innern und damit zum Angriff gegen die eigene Bevölkerung.

Bei der Verabschiedung des Grundgesetzes war selbstverständlich, dass nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen sollte. In Anknüpfung an die Vorgaben des Parlamentarischen Rates von 1949 wurde das Bekenntnis noch 1990 bei Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages bekräftigt. Nach zwei Angriffskriegen von deutschem Boden war der Einsatz deutscher Soldaten zu anderen Zwecken als der Landesverteidigung undenkbar. Tatsächlich hat sich die Bundeswehr längst unter Bruch der Verfassung in eine weltweit agierende Interventionsarmee zur Durchsetzung des »freien und ungehinderten Welthandels als Grundlage unseres Wohlstandes« gewandelt. Die UNO wird dabei als Legitimationsinstrument benutzt: »Die einzigartige Bedeutung der Vereinten Nationen besteht darin, einen notwendig werdenden Einsatz militärischer Gewalt mit der völkerrechtlichen Legitimität zu versehen.« (Weißbuch 2006, vorläufige Fassung, S.35) Im gleichen Schritt entstehen ca. 470 Heimatschutzzentren zur Mobilisierung von Reservisten. Eine solche Mobilmachung braucht ein Staat nur auf dem Weg zum Krieg.

Bei den Gesetzesänderungen des Jahres 2006 handelt es sich nicht nur um eine weitere Fortsetzung der seit Jahrzehnten betriebenen Beschneidung demokratischer Rechte. Es ist eine Zäsur, ein zielgerichteter Umbau des Staates zur Befriedigung einseitiger Interessen, die im Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr beschönigend als die Verteidigung des »freien und ungehinderten Welthandels als Grundlage unseres Wohlstandes« bezeichnet werden. Für wie dumm mag man eine Bevölkerung halten, die millionenfach nicht im Wohlstand, sondern mit oder ohne Arbeit in Armut an der Grenze zu einem menschenunwürdigen Leben steht?

1. Zur Geschichte der Förderalismusreform

Die Mehrheit in diesem Land wird wohl mit Föderalismus nichts Negatives verbinden. Schließlich stellt man sich vor, dass es eine Mehrzahl von Ländern gibt, die sich zur Verfolgung eines gemeinsamen Ziels freiwillig und zum Wohle aller zu einem Bund zusammenschließen und ihm gemeinsame Aufgaben zur Erledigung überlassen. Tatsächlich hat der Föderalismus in der jüngeren Geschichte Deutschlands eine unrühmliche Rolle gespielt. Weder die »Ordnungszelle Bayern« der 1920er Jahre noch die trickreiche Verleihung der Staatsbürgerschaft an Hitler durch den Freistaat Braunschweig im Jahre 1932 wären ohne den Föderalismus möglich gewesen. Objektiv schuf er günstige Bedingungen für den Aufstieg des Hitlerfaschismus, der ihn – zur Macht gelangt – sogleich mit zwei Gleichschaltungsgesetzen im März und April 1933 beseitigte.

Dies und die Tatsache, dass die Alliierten nach dem Sieg über den deutschen Faschismus beim Wiederaufbau den drei Westzonen föderale Vorgaben machten und die Polizei grundsätzlich nur als Ländersache zuließen, transportierte den Eindruck, als sei Föderalismus an sich etwas Antifaschistisches, Demokratisches. Heute ist festzustellen, dass mit der Föderalismusreform der weiteren Zerstörung von Demokratie und einer Beliebigkeit des Rechts Vorschub geleistet wird.

2. Um die Reformen einordnen zu können, einige Worte zum System

Bisher ist die Gesetzgebung grundsätzlich Ländersache, soweit das Grundgesetz diese Kompetenz nicht dem Bund zuschreibt. Und tatsächlich gibt es eine ausschließliche Gesetzgebung des Bundes. In dem Bereich darf das Land nur gesetzgeberisch tätig werden, wenn es eine ausdrückliche Zuweisung vom Bund bekommt. Es geht z.B. um Außenpolitik, Luftverkehr, Militär oder Staatsangehörigkeit. Konkurrierende Gesetzgebung bedeutet das Recht der Länder zur Verabschiedung von Gesetzen, wenn der Bund nicht zuvor von seinem Recht der Gesetzgebung Gebrauch gemacht hat, z.B. beim Versammlungsrecht, Arbeitsrecht, Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer und Ausländerinnen. Weiter gibt es das Recht des Bundes zum Erlass von Rahmenvorschriften, z. B. im Hochschulwesen, beim Naturschutz oder beim Melde- und Ausweiswesen.

Was ist jetzt neu und warum eigentlich ist es geändert worden?

Frau Merkel hat in ihrer Rede zur Verabschiedung des Gesetzes am 30. Juni 2006 erklärt: »Die Bundesgesetzgebung hat tendenziell die Landesgesetzgebung verdrängt. Für viele Bürger war und ist nicht mehr klar, wer wofür zuständig ist…« Das müsste sich also geändert haben. Kommen wir zunächst zu den Rahmenvorschriften (Art. 75 GG). Die sind abgeschafft. Stattdessen hat man eine »Abweichungsgesetzgebung« (Art. 72 III GG) geschaffen, bei der man bezüglich der Klarheit über die Zuständigkeiten durchaus Zweifel haben darf. Diese Gesetzgebung funktioniert nämlich so: Der Bund erlässt ein Gesetz, z.B. im Bereich des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts für Ausländer oder zum Lärmschutz. Das Gesetz gilt aber sechs Monate erst mal nicht. Die Länder können sich das Gesetz in dieser Zeit ansehen und – jedes Bundesland einzeln – ein anderes Gesetz erlassen, im Höchstfall also 16 verschiedene Gesetze. Das später verabschiedete Gesetz gilt. Wenn dem Bund die Regelungen aber nicht gefallen, kann mit einem neuen Gesetz eine andere Regelung getroffen werden. Verfassungswidriger Paragrafen-Pingpong, denn nach dem unveränderten Artikel 31 GG bricht Bundesrecht das Landesrecht. Wer mag da noch wissen, wer wann wofür zuständig ist? Der Verfassungsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins hat dazu erklärt: »Beispielsweise beim Naturschutz, dem Wasserhaushalt oder der Hochschulzulassung können die Länder künftig von Bundesgesetzen abweichen. Erlässt der Bund aber später ein neues Gesetz, so gilt wieder dieses. Im schlimmsten Fall haben wir im Wechsel 16 inhaltlich verschiedene Landesgesetze und ein Bundesgesetz. Hier das jeweils aktuell geltende Gesetz zu finden, werden nur noch juristische Experten können.« Wegen der hagelnden Kritik wurde in der Folge verschlimmbessert. Es wurde das Regularium des »abweichungsfesten Kerns« eingeführt. Die frühere Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat das kommentiert: »Sie führt dazu, dass es eine konkurrierende Gesetzgebung mit Erforderlichkeitsprüfung und ohne Erforderlichkeitsprüfung, mit Abweichungsrechten und ohne Abweichungsrechte, konkurrierende Gesetzgebung mit Abweichungsrechten, aber abweichungsfesten Kernen und nicht abweichungsfesten Kernen gibt… Sie alle wissen gar nicht, was das im Einzelnen bedeutet. Was bedeutet denn der abweichungsfeste Kern‘ ›allgemeine Grundsätze des Naturschutzes‹? Hier wird doch in einer Art und Weise eine Verfassungsänderung betrieben, die den hohen Ansprüchen einer Verfassungsänderung in vielen Punkten nicht gerecht wird.«

Die Abweichungsgesetzgebung ist reiner Unfug. Von wegen, dass jetzt klar ist, wer wofür zuständig ist. Für uns bedeutet sie nicht nur Rechtsunsicherheit bei dem möglichen Wettlauf der Gesetzgeber um das letzte Wort. Die Frage wird auch sein, welche Möglichkeiten der gerichtlichen Überprüfung gegeben sind. Ist es gerade Landesrecht, ist das Gesetz vor den Bundesgerichten nicht überprüfbar. Ist es gerade Bundesrecht, dann schon. Wenn die Zuständigkeit im Verlauf des Klageverfahrens wechselt, was ist dann? Wahrscheinlich Pech ge-habt, vergeblich geklagt.

Frau Merkel allerdings ruft uns zu: »Ich rate, was die Abweichungsregelungen und ihre Inanspruchnahme durch die Länder anbelangt, nicht immer das Schlimmste anzunehmen, was passieren kann, sondern auf die Macht des Faktischen zu vertrauen.«

Zugegeben, das klingt launig. Aber es bedeutet die Schaffung der Unverbindlichkeit, der Beliebigkeit des Rechts. Wo Recht beliebig wird, ist Unrecht nicht weit. »Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit«, hat der Berliner Anwalt Gerhard Jungfer in einer Festschrift vermerkt. Recht hat er! Die Einhaltung der Form durch den Staat im Verhältnis zum Bürger ist eine der Überlebensbedingungen bürgerlicher Demokratie. Was gibt es weiter? Durch die Auflösung der Rahmengesetzgebung und die Neuordnung der konkurrierenden Gesetzgebung sind insgesamt 16 Bereiche auf die Länder verlagert worden, dazu gehört u.a. das Versammlungsrecht, der Strafvollzug, das Ladenschlussrecht, die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse, der Großteil des Hochschulrechts mit Ausnahme der Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse, das Heimgesetz.

Das bisherige Bundesgesetz zum Versammlungsrecht stammte aus dem Jahre 1953 und war – zugegeben – trotz einiger Aktualisierungen nicht auf dem Stand der Zeit. Immerhin konnten sich aber Menschen ohne deutschen Pass, denen das Recht auf Versammlungsfreiheit jedenfalls nicht aus Artikel 8 GG (einem Deutschen-Grundrecht) zusteht, auf dieses Gesetz als Rechtsgrundlage berufen.

Im Übrigen gilt: Wer sich heute im Versammlungsrecht mit staatlichen Stellen in Streit begibt, wird weniger das Versammlungsgesetz als vielmehr die grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Demonstrationsrecht, den »Brokdorf- Beschluss« zitieren. Statt bei der Ausgestaltung dieses Grundrechts in die Kleinstaaterei zurückzufallen, hätte diese Entscheidung in Bundesrecht gegossen werden sollen, um sie endlich in allen Bundesländern Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Entscheidung verteidigt kompromisslos das Versammlungsrecht als »ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren«.

In Hamburg – unser gegenwärtiger Innensenator Nagel ist aus München zugereist – haben wir eine Ahnung von der neuen Zeit. Am Rande eines Flohmarktes im Schanzenviertel mit Musik vor dem Hassobjekt Rote Flora kam es im September zur spontanen Demonstration und zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Festgenommenen – zum Teil noch Schüler – wurden mit Plastikbändern gefesselt und durch das Aufsetzen von innen verklebter Schutzbrillen orientierungslos gemacht. Es ist zu befürchten, dass sich jedes Land auf sein eigenes, möglicherweise restriktives Versammlungsrecht berufen und behaupten wird, dies sei verfassungskonform.

Man soll nicht glauben, der Strafvollzug geht mich nichts an, damit habe ich nichts zu tun, und da ist es auch egal, ob der Bund oder das Land die Materie regelt. Die demokratischen Rechte, das der gewerkschaftlichen Organisierung, das Betriebsräterecht, das Recht der freien Meinungsäußerung, das Versammlungs- und Streikrecht, sind in diesem Land schwer erkämpfte Rechte, die es ohne die Novemberrevolution 1918 so nicht gegeben hätte. Das Engagement für demokratische Rechte hat nicht nur in der Weimarer Republik, sondern auch in der Bundesrepublik, insbesondere der 50er-und 60er-Jahre, viele Menschen ins Gefängnis gebracht. Den Wert demokratischer Rechte erkennt man, wenn man sie braucht. Wir sind dabei, sie uns wegnehmen zu lassen, weil wir sie nicht mehr gebrauchen.

Machen wir es konkret, ein ganz einfaches Beispiel. Sie sitzen hier und sind kritisch gegenüber den Rechtsänderungen, die durch den Bundestag gejagt werden. Sie sind männlich, Sie können als Soldat zur Bundeswehr eingezogen werden. Sie stoßen sich an dem Ziel, »den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern«, natürlich durch Ihre Tätigkeit in der Bundeswehr. Mit dem Welthandel haben Sie nichts am Hut und wollen dafür weder Ihr Leben einsetzen noch das der Menschen in anderen Ländern gefährden. Sie weigern sich, einem Befehl zu folgen, oder beschließen, den Kriegsdienst ganz zu verweigern, obwohl Sie nicht grundsätzlich pazifistisch eingestellt sind. Was passiert? Strafverfolgung: §20 Wehrstrafgesetzbuch, Gehorsamsverweigerung, Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. §16 Wehrstrafgesetzbuch, Fahnenflucht, Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Zur Zeit gibt‹s meist zwischen drei und sechs Monaten. Aber die Zeiten ändern sich. Die Strafandrohung steht nicht zum Spaß im Gesetz.

Was damit gesagt sein soll: Strafvollzug geht jeden etwas an. Die Art des Strafvollzugs ist ein Gradmesser für die Verfasstheit der Gesellschaft.

Man kann voraussagen, dass die Rückführung der Kompetenzen für den Strafvollzug unerfreulich wird. Hessen hat schon angekündigt, den schärfsten Vollzug in der Republik einzuführen. Es wird ein Wettlauf werden um die radikalsten Verschlechterungen.

Mit gutem Grund ging im Jahre 1974 die Gesetzgebungskompetenz für das Heimrecht von den Ländern an den Bund. Die Wohlfahrtsverbände befürchten jetzt ein Roll-back und eine Konkurrenz um die billigste Versorgung von Menschen, die auf eine Heimunterbringung angewiesen sind. Der Abgeordnete Ilja Seifert hielt der Bundesregierung im Bundestag die eigene Widersprüchlichkeit vor: »Sie übertragen den Ländern die Kompetenz für das Heimrecht. Wir haben schon erste Erfahrungen gemacht. Bayern verlangt, die Standards in Heimen zu senken… Ich zitiere abschließend noch einmal die Bundesregierung, damit Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, wissen, dass Sie sehenden Auges Fehler begehen. Die Bundesregierung schrieb in ihrer Antwort auf die gestellte Frage weiter: ›Mittel- und langfristig wäre in Anbetracht zu erwartender unterschiedlicher Prioritätensetzung in den Ländern die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse für behinderte Menschen in Deutschland nicht mehr gewährleistet.‹«

Auch hier folgt die Regelung der Föderalismusreform dem Zeitgeist. Im Jahre 1972 in einheitliches Bundesrecht überführt, geht es jetzt wieder zurück in die Länder. Es ist eine Spaltung in 16 Länderrechte und ein Bundesrecht für die Bundesbeamten. Es ist absehbar, dass nicht ein Mehr an Demokratie und Bürgernähe Grund für die Kompetenzverschiebung ist, sondern schlichte Sparpolitik, die mit Teilung, Entsolidarisierung und Konkurrenz zwischen Beamten und Angestellten in 16 Ländern vor sich gehen wird.

Das Hochschulrecht geht auf die Länder über. Die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse werden im Pingpong der Abweichungsgesetzgebung geregelt. Der Neubau und der Ausbau von Hochschulen und Universitätskliniken als Gemeinschaftaufgabe des Bundes und der Länder ist Vergangenheit.

Vertrauen wir mit der Kanzlerin auf die Macht des Faktischen, wird eine fortschreitende Privatisierung die Folge sein, Forschung und Lehre werden sich nach Interessen und Anforderungen der Sponsoren ausrichten. Elite-Universitäten und weiter steigende Studiengebühren sind nicht weit.

4. Die Föderalismusreform ist allerdings keine Einbahnstraße. Es gibt auch die Übertragung von Länderkompetenzen an den Bund. Mit welchem Ziel?

Im Koalitionsvertrag war im November 2005 unter dem Titel »Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit« angedroht worden, die Verflechtung von Polizei und Geheimdiensten, die Verwischung von Militär- und Polizeiaufgaben weiter zu fördern – das sind natürlich meine Worte.

Zum historischen Hintergrund sei gesagt, dass die Terror-Organisation Geheime Staatspolizei im deutschen Faschismus allumfassend sowohl nachrichtendienstlich als auch im Polizeivollzug tätig war. Mit Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure der Westalliierten vom 12. Mai 1949 wurde die strikte Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten verlangt, um eine erneute undemokratische und letztlich nicht mehr kontrollierbare staatliche Machtkonzentration zu verhindern. Jetzt ist sie wieder da – und es gibt keine wirkliche Kontrolle.

Mit dem neu geschaffenen GG-Artikel 73 Absatz 1 Ziffer 9a und dem Anti-Terror-Datei-Gesetz wird – wie es in Deutschland so üblich ist – auf ganz legalem Weg, aber unter nicht im Ansatz nachvollziehbaren Bedrohungsszenarien die Tür aufgestoßen für die Neuauflage einer Geheimen Staatspolizei. Danach hat der Bund die »ausschließliche Gesetzgebung über die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Polizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht«.

Mit den neuen Kompetenzzuweisungen im Grundgesetz wird legalisiert, was sowieso schon da ist, sogenannte Anti-Terror-Zentren, in denen alle Geheimdienste und Polizeien untrennbar verflochten zusammenarbeiten. Das Bundeskriminalamt hatte offiziell bisher keine Präventivbefugnisse. Für Tätigkeiten im Bereich der Verdachtsgewinnung war es grundsätzlich auf die Landespolizei angewiesen. In dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Terrorismusbekämpfungsgesetz, dem sogenannten »Otto-Katalog«, scheiterte Schily mit seinen Wünschen zur Ausweitung der Befugnisse des BKA noch an dem Widerstand der Länder. Seit dem 1. Januar 2007 werden nun die Erkenntnisse von den 39 Polizeibehörden und der Geheimdienste über alle unter Terrorverdacht gestellten Menschen in einer Datei gesammelt, auf die alle Zugriff haben.