Wagnis Diktaturenvergleich

geschrieben von Peter Fisch

5. September 2013

Zu Horst Schneiders Buch »Hysterische Historiker«

Juli-Aug. 2008

Horst Schneider

Hysterische Historiker. Vom Sinn und Unsinn eines verordneten Geschichtsbildes, Verlag Wiljo Heinen, Paperback, 304 Seiten, 12,00 Euro

Prof. Dr. Horst Schneider geht mit dem Buch ein bewusstes, aber notwendiges Wagnis ein, wohl wissend, dass jeder historische Vergleich zwar gängiges Arbeitsprinzip im Sinne des Erkenntnisgewinns ist, aber dennoch seine Tücken und Grenzen hat. Sein methodisches Herangehen ist folgendes: Er benutzt für den Vergleich ausnahmslos strukturelle gesellschaftlich-soziale Kriterien. Verglichen werden das faschistische Dritte Reich mit der DDR und die Alt-BRD mit der DDR. Letzterer Vergleich dominiert allerdings eindeutig. Durchaus vorhandene Parallelen zwischen der BRD und dem Hitlerstaat werden zwar herausgearbeitet, aber die notwendige Differenzierung zwischen der faschistischen Diktatur und dem bürgerlich-parlamentarischen System der BRD bleibt unterbelichtet.

Dieser von Horst Schneider durchgeführte Makrovergleich ist legitim, bedingt aber auch Einschränkungen. Hohe Abstraktionen und historische Verkürzungen sind die Folge des weitgehenden Ausblendens der Entwicklungsprozesse der ver-glichenen Gesellschaftssysteme. So findet der Leser eine Reihe von Pauschalcharakterisierungen (historische Verkürzungen), die nicht dem aktuellen Forschungsstand entsprechen, auch nicht dem marxistischen.

Pauschale Wertungen finden sich z. B. bezüglich des 20. Juli 1944. Selbst eingedenk dessen, dass Offiziere wie Tresckow Kriegsverbrechen zu verantworten hatten und der Putschversuch erst zum Ende des Krieges stattfand, war er dennoch »eine mutige antifaschistische Tat« so die Wertung in der DDR (1984). Auch Schneiders Bemessung der Leistung der DDR-Literatur (Musik und Theater eingeschlossen) wird ihrer widersprüchlichen, oft dirigistisch beeinflussten Entwicklung durch die SED-Führung kaum gerecht. Als hätte es keine Brüche in der Kulturpolitik der DDR gegeben.

Anerkennung verdient, dass mit Schneiders Buch insgesamt eine logisch gegliederte, gut lesbare Streitschrift wider die Totalitarismus-Doktrinäre vorliegt. Wichtig deshalb, weil der Diktaturenvergleich die Hauptmethode des neudeutschen Geschichtsbildes darstellt, Er dominiert die öffentliche Meinung und die politische Argumentation der Herrschenden, einschließlich die Lehrpläne der Schulen, um nicht nur den untergegangenen Sozialismus in Osteuropa, sondern jegliche Bewegung, jedes Denken über den Kapitalismus hinaus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verteufeln.

Selbstredend zielt das verordnete Geschichtsbild damit auf die Delegitimierung der DDR und die Legitimierung der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« als Endpunkt der Geschichte. Kurz: Die Totalitarismus-Doktrin ist das dominierende Deutungsmuster für die grundsätzlichen historisch-politischen Phänomene der deutschen und Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts und politisches Totschlagargument gegen die Linke und alle demokratischen und antiimperialistischen Kräfte und Potentiale. Integrierend gelingt dem Autor die durch vielfältiges Faktenmaterial und sinnfällige Wertung gestützte Beweisführung, dass eine Gleichsetzung von Faschismus und DDR-Sozialismus eine Absurdität ist. Der grundsätzlich marxistische Ansatz der Analyse, ausgehend von den Eigentums- und Machtverhältnissen (die von Totalitarismusdokrinären bewusst ausgeklammert werden), erweist sich als fruchtbringend.

Daran schließen sich folgende Vergleichskriterien der Staatssysteme an: Außenpolitik, Ideologie, Militär, Justiz, Geheimdienste, Kirche und Erinnerungspolitik. Völlig verzichtet wurde auf die Kriterien Kunst und Literatur, Alltags- und Mentalitätsgeschichte, Sympathiepotential und innere Gegenkräfte, Gesellschaftskrisen (Bewältigung oder latentes Fortbestehen), Entstehungs- und Untergangsbedingungen.

Die wissenschaftliche Wertlosigkeit der Totalitarismusdoktrin bedeutet aber nicht, dass es genügt, das jeweilige Fazit der einzelnen Kapitel mit dem Hinweis zu verbinden, dass auch hierin »die DDR auf der Siegesstraße« gewesen sei. Die DDR-Geschichte ist, trotz aller Leistungen und Erfolge, nicht nur eine ungetrübte Erfolgsbilanz. Ihr Untergang ist, bei allem Wirken der Konterrevolution, auch ihren Defiziten, Widersprüchen, Irr- und Abwegen geschuldet. Wo und wann begannen die? Welche Kurz- oder Langzeitwirkungen hatten sie?

Prof. Dr. Kurt Pätzold, aktiver Mitgestalter und Zeuge der Geschichte der DDR-Historiographie, bekannte in seiner kürzlich erschienenen Autobiographie, dass diese, bei allen Leistungen, mit dem Dirigismus in der Forschung und Publikationspolitik der SED-Führung leben musste. Die negativen Folgen waren beträchtlich.

Die notwendige, fortgesetzte Auseinandersetzung mit der Totalitarismusdoktrin verlangt unabdingbar, die DDR-Geschichte, wie auch die Geschichte der internationalen und deutschen kommunistischen Bewegung, tabulos und umfassend darzustellen- ohne in den Ruf abtrünniger Renegaten bzw. kapitalistischer Apologeten zu geraten. Das heißt, den Radikalverzicht auf Halb- und Unwahrheiten zu praktizieren, denn es gilt, jene inhaltlichen Felder zu besetzen, welche die Totalitarismusdoktrinäre jetzt innehaben.