Was bleibt?

geschrieben von Angelika Haas

5. September 2013

Erinnerung an die antifaschistische Bildhauerin Ingeborg Hunzinger

Sept.-Okt. 2009

Dr. Angelika Haas ist seit seiner Gründung im ANTIEISZEITKOMITEE, einer Vereinigung linker Künstlerinnen und Künstler, engagiert.

»Kann nicht mal einer kommen und das fotografieren«? Inges Stimme am Telefon. Sonst fragte sie meist zuerst, was denn demnächst auf unserem Plan stehe im ANTIEISZEITKOMITEE. Weil es nicht mehr so gut ging mit stehender Arbeit am Stein, hatte sie sich an ihrem Wohnzimmertisch aufs Arbeiten an kleinen Sachen verlegt, mit Wachs und Ton. Das gefiel ihr, wenn sie widrige Umstände überlisten konnte – am besten im Interesse ihrer Arbeit. Und an diesem Januartag gefiel es ihr so, dass sie es gern fotografisch festgehalten wissen wollte. Nun ist es eines der Arbeitsfotos, die von ihr bleiben, denn am 19. Juli ist sie am Morgen nicht mehr aufgewacht.

Aber ihre Frage: »Was bleibt?« galt dem, was künftige Generationen über uns erfahren können, vermittelt über die Kunstwerke, die von uns Heutigen bleiben; so wie die römischen und griechischen Steinwerke, zu denen wir heute noch gehen, wenn wir etwas über die damals wissen wollen.

Schließlich hatte bei ihr alles mit einer solchen Begegnung begonnen: Seit sie Michelangelos Arbeit in der Kapelle der Medici sah und wusste, dass »die Bildhauerei und der Stein« ihr Beruf sind, fühlt sie sich in dieser Traditionsverpflichtung der Jahrtausende: »Es war eine Berufung«, empfand sie, die Tochter aus dem Professorenhaushalt, Enkelin von Philipp Franck, dem Maler, Freund von Max Liebermann und Berliner Sezessionspionier. Hier erfuhr sie die bereichernde und beglückende Wirkung von Kunst. Von den Faschisten zur »Halbjüdin« erklärt und mit dem Verbot, den geliebten Beruf auszuüben, belegt, erlebt sie, wie ihr als Chemiker »kriegswichtiger« Vater seine jüdische Frau im Keller verstecken muss. Ihr gelingt die Flucht nach Italien, das sie Ende August 1939 erreicht. Sie zeichnet und arbeitet am Stein, trifft den Kollegen Helmut Ruhmer, flieht 1943 mit ihm und ihren zwei Kindern vor den deutschen Truppen in den Hochschwarzwald, wo sie das Kriegsende erlebt – der Mann wird in die letzten Kämpfe gepresst und verliert das Leben.

1945 geht Ingeborg Hunzinger zurück nach Berlin. Sie will ein sozialistisches Deutschland gestalten, Kunst für die arbeitenden Menschen und im Kontakt mit ihnen produzieren. Für kurze Zeit Dozentin für Bildhauerei an der Kunsthochschule in Weißensee, hat sie Anfang der 50er zwei produktive Jahre als Meisterschülerin an der Akademie der Künste der DDR bei Fritz Cremer und Gustav Seitz.

Sie geht ihren eigenen Bitterfelder Weg ins Funkwerk Köpenick (»Tugenden und Laster des Sozialismus«, Terrakottarelief, 1966) und nach Leuna, ins Krankenhaus Köpenick und ins FDGB-Erholungsheim Gadow (heute wieder: »Schloß Gadow«).

Auch aus ihrer persönlichen Lebensgeschichte gestaltet sie das Denkmal in der Berliner Rosenstraße – ihr letztes Werk im DDR-Auftrag. Als die SED-PDS ihren ersten Bezirksvorstand bildet, kandidiert sie, weil sie es für nötig hält, sich einzumischen und auch, dass die Kunst eine Stimme in diesem Gremium hat. Sie gründet 1990 DAS ANTIEISZEITKOMITEE mit und bleibt aktiv, sich sorgend um das geistige Profil der Linken und das Ambiente im Karl-Liebknecht-Haus, das zu kulturvollem Umgang einladen könnte. Sie war es auch, die dem Parteitag 1995 ein Rosa-Luxemburg-Denkmal vorschlug und sich dann darum kümmerte, dass es nicht beim Bemühen blieb. Die Skulptur von Rolf Biebl steht nicht im Eingang des Karl-Liebknecht-Hauses, wo viele sie gern gehabt hätten, aber sie steht! Inzwischen sogar zwei Mal (in der Weydingerstraße und – flankiert von Inge Hunzingers zwei Keramiktafeln zum Gedenken an Mathilde Jacob und Karl Liebknecht – vor der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Franz-Mehring-Platz). Und es ist ein Bild, eine Darstellung, die berührt und aufrührt, im Gedächtnis bleibt – die erste figürliche Darstellung der Revolutionärin in Berlin.

Aber nicht nur dies verdankt Berlin ihr, sie ist mitverantwortlich für die »Kunst am Bau« im größten Berliner Neubauvorhaben in Marzahn – und erlebt hier in der gemeinsamen Arbeit mit ihren Kolleginnen und Kollegen und in der Zusammenarbeit mit staatlich Verantwortlichen maßstabsetzende Arbeit für Kunst im Stadtraum. Aus der Erfahrung heraus, dass das in der ökonomisch schwachen, kleinen DDR möglich war, war sie unermüdlich im Fordern – getrieben von der Sorge, was wohl bleiben mag und zeugen wird vom Leben in ihrer, in unserer Zeit. Sie tat das ihre, nun ist es an uns.