Was so abgeht im Stadion

5. September 2013

Von Martin Schirdewan

Mai-Juni 2012

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Am 8. Juni beginnt die Fußballeuropameisterschaft in Polen und der Ukraine. Ein Spektakel, das Millionen und Abermillionen Zuschauer in seinen Bann ziehen wird. Die Verantwortlichen werden alles daran setzen, das Bild einer friedlichen, völkerverbindenden Sportart zu zeichnen. Ein schöner Traum, der lediglich von der Realität bedroht wird. Erste Risse in der heilen Fassade des gemeinsamen Volksfestes Fußball-EM zeigen die politischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und dem Ko-Gastgeberland Ukraine. Doch auch auf weniger diplomatischem Parkett toben Kämpfe um den Fußball und in den Stadien.

Fußball macht Spaß. Doch die Augen zu verschließen und zu ignorieren, dass das Stadion schon immer Ort politischer Auseinandersetzungen war, hilft lediglich den Werbestrategen von DFB, UEFA und FIFA. Nicht jedoch denen, die von den rassistischen, nazistischen Auswüchsen betroffen sind oder denjenigen, die sich dagegen organisieren.

Angela Merkel, ansonsten an dieser Stelle eher selten zitiert, sagte 2006: »Der Fußball kennt keine Grenzen.« Die eine oder der andere mochte sich damals schon gefragt haben, von welchen Grenzen die Bundeskanzlerin da wohl sprach. Die Grenzen des guten Geschmackes etwa, ökonomische Grenzen, die Grenzen der Freiheit der anderen, die Grenzen zwischen oben und unten oder die zwischen den Völkern? Wahrscheinlich meinte Frau Merkel einfach die Grenze zwischen allem und jedem. Alle hatten sich damals ganz furchtbar lieb und knuddelten sich durch die sorgenfreie Zeit der Fußballweltmeisterschaft.

Doch natürlich kennt der Fußball jede nur erdenkliche Grenze: zwischen den durch Polizisten getrennten Fanblöcken, zwischen den Stehplatzkartenkäufern und den auf der Tribüne Sitzenden, zwischen farbigen Fans und Spielern und gewaltbereiten Neonazis in den Kurven der Stadien, zwischen arm und reich, Erstverwertung und Zweitverwertung, oben und unten, Männlein und Weiblein. Und nicht zuletzt kennt er auch die Grenzen zwischen links und rechts, zwischen einer demokratisch-pluralistischen Kultur und einer nazistisch aufgeladenen Kultur in und außerhalb der Stadien.

Wie emotionale Selbstvergessenheit und ein kollektives Massengefühl im Stadion zu propagandistischer Selbstinszenierung genutzt werden können, haben bereits die alten Cäsaren gewusst. Sportereignisse in politische Großveranstaltungen umzumünzen, ist Herrschaftsprinzip. Die Öffentlichkeit des Stadions zu nutzen, ist ein Ziel alter und neuer Nazis im Kampf um kulturelle Hegemonie. Doch ist ja nicht immer alles perfide grau und braun. In deutschen Städten, um sich den alltäglichen Niederungen jenseits der großen Inszenierungen zu widmen, gibt es ebenso viele freundliche Farbtupfer.

Ein paar Beispiele: Die Selbstorganisation der Fanszenen: antirassistische und antinazistische Fangruppen und politisch links stehende Ultraszenen gibt es nicht nur im Norden, sondern auch im Süden, Westen und im Osten. Allein in der Region Berlin/Potsdam gibt es mit Tennis Borussia Berlin und dem SV Babelsberg 03 gleich zwei Vereine, die eine ausgeprägt linke Fankultur etabliert haben. In Babelsberg etwa findet jährlich ein antirassistisches Stadionfest statt. Die Fans prägen das Image eines Vereins, so dass ihnen auch eine gewisse Mitsprache von Seiten der Vereinsvorderen eingeräumt wird. Wenn es also gelingt, wie beispielsweise in Jena, durch das offensive Eintreten für antirassistische, antisexistische Grundwerte im Stadion, ein solche liberale Meinungshoheit zu etablieren, passt sich der Verein in seiner den Marktmechanismen gehorchenden Vereinspolitik diesem Erscheinungsbild und Grundkonsens seiner Fans zumindest teilweise an.

Die aktiven Fans haben sich größere Zusammenhänge geschaffen. BAFF, das Bündnis aktiver Fußballfans, das bekannt geworden ist durch seine Tatort Stadion-Ausstellung, in der die hässliche Fratze des Rechtsextremismus in deutschen Stadien aufgezeigt wurde. Aber auch das Bündnis FARE. FARE steht für football against racism in Europe. Ein internationales Netzwerk antirassistischer Fangruppierungen. Das Netzwerk beteiligt sich u.a. an der mondiale antirazzisti, ader antirassistischen Fan-Weltmeisterschaft, die in der Regel einmal jährlich in Italien ausgetragen wird und bei der sich hunderte Fans der verschiedensten Fangruppen aus ganz Europa und aller Welt zum gemeinsamen Fußballspielen und -gucken und zum Reden ,Lachen und Trinken treffen.

Stichwort Vereinspolitik: die meisten haben sie – die antirassistische Klausel. Nazistische und/oder rassistische Gesänge, ein ebensolches Verhalten, Zeichen derlei Gedankenguts haben viele Vereine auf ihre No-Go-Liste gesetzt. Das gilt für Bayern München und Schalke 04 wie für den SV Babelsberg 03 und TeBe. Durch die statuarisch verankerten Klauseln haben die Vereine als Gastgeber, bzw. über das Hausrecht verfügende Rechtspersonen die Möglichkeit, Fans bei unbotmäßigem Verhalten zum Beispiel mit Stadionverboten zu belangen. Bei dem einen hilft dieser Druck, beim anderen weniger. Auf diese Möglichkeiten können die Vereine jedoch jederzeit hingewiesen werden.