Wer Bücher verbrennt …

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Zur Erinnerung an den 10. Mai 1933

Mai-Juni 2008

Wie jedes Jahr gedenkt die VVN-BdA gemeinsam mit Studenten im Senatssaal der Humboldt-Universität, also unmittelbar am »Tatort« der Bücherverbrennung. Diesmal unter Beteiligung der Schriftstellerin Elfriede Brüning und ihres Kollegen Hermann Kant sowie des Historikers Werner Treß am 9. Mai um 16.00 Uhr.

Die faschistische Diktatur war erst 99 Tage alt, als in allen Universitätsstädten Deutschlands aus Büchern aufgetürmte Scheiterhaufen loderten. Im Rundfunk und in Tageszeitungen waren Autoren und Titel genannt worden, die weil sie »undeutschen Geist verbreiten« nicht länger geduldet werden dürften. Weder in den Bücherschränken deutscher Familien noch in öffentlichen Leihbüchereien, in wissenschaftlichen Instituten oder gar in den Universitätsbibliotheken. Der zentrale Termin, an dem sich der »Volkszorn« gegen diese » zersetzende« Literatur entladen sollte, war der 10. Mai 1933. Als Auftakt drangen bereits am 6. Mai etwa 100 Studenten des »Instituts für Leibesübungen« der Berliner Universität auf ein Trompetensignal hin gewaltsam in das Institut für Sexualwissenschaften ein, das von dem progressiven Mediziner Magnus Hirschfeld geleitet wurde.

Im Mai 1919 hatte Hirschfeld dieses weltweit erste Institut seiner Art in Berlin eröffnet. In seinen vielfältigen Funktionen repräsentiert es die Liberalisierungsbestrebungen der Weimarer Republik. Seit seiner Gründung war die Einrichtung von konservativen oder bereits »völkisch« gesonnenen Wissenschaftlern und Studenten skandalisiert und wegen »jüdischen Geistes« als »undeutsch« denunziert worden. Die Studenten plünderten die Bibliothek. Danach erklärte der Führer der Berliner NS-Studenten, stud. jur. Gutjahr, das Institut als endgültig geschlossen. Doch die Aktion der Studentenschaft würde so lange fortgesetzt, bis alle Quellen »undeutschen Schrifttums und jüdischen Umtriebs restlos verstopft seien.« Ein solches Institut habe an einer deutschen Universität keinen Platz.

Eine Büste von Magnus Hirschfeld, zum Hohn auf einer Stange mitgetragen, wurde am 10. Mai mit ins Feuer geworfen. Marschlieder und lautstarke Sympathiekundgebungen von Schaulustigen wurden von allen Rundfunksendern übertragen. Gegen 23.00 Uhr wurden die auf Holzscheiten aufgestapelten Bücher mit Benzin übergossen und mit Fackeln angezündet. Die vorgegebenen Feuersprüche, wie zum Beispiel: »Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen Volksgut! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!« Oder: »Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens! Verschlinge, die Flamme auch die Schriften von Magnus Hirschfeld und Siegmund Freud!« Das grölten nicht nur braune Horden, sondern Studierende, die an bürgerlichen Gymnasium ihr Abitur abgelegt hatten. Die Jüngeren unter den beteiligten Professoren hatten ihren Doktoreid bereits in der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, geschworen.

Schließlich betrat Propagandaminister Goebbels das von Hakenkreuzfahnen umrahmte Rednerpult und hielt als Großinquisitor seine berüchtigte »Brandrede.« Er lobte die Studenten als Vortrupp des revolutionären Geistes und die Wissenschaftler, die sich nun endgültig wehren konnten gegen jüdischen Intellektualismus, gegen bolschewistischen Marxismus, Asphaltliteratur und Untermenschentum.

Jedenfalls hatte »Die Berliner Illustrierte« (Nachtausgabe) vom 10. Mai 1933 im ersten Beiblatt noch den Mut, einen spontanen anonymen Brief an die Studenten abzudrucken: » Ihr Hornochsen, die Ihr noch grün hinter den Ohren seid, die Ihr dazu beitragt, dass alle Intelligenz, der Deutschland seine Größe und sein Ansehen zu verdanken hat, nach dem Ausland … auswandert, wollt deren Werke nun auch noch zu vernichten. O, welche Schmach, welch eine Kulturschande! Um tausend Jahre zurück!«

Die von März bis Juni 1933 jeweils in öffentlichem Zeremoniell vernichteten Bücher bleiben Brandnarben in unserer Geschichte. Doch weil das antifaschistische »Nie wieder« nicht zur hilflosen Floskel werden darf auch angesichts der Bücherverbrennungen, die im Zweiten Weltkrieg und in allen seitdem geführten Kriegen weltweit stattgefunden haben bleibt unbeirrtes, gemeinsames, widerständiges Gedenken unsere Aufgabe.