Wir hatten keine Lobby

5. September 2013

Romani Rose im antifa-Gespräch über Antiziganismus und
Erinnerungslücken

Mai-Juni 2011

Romani Rose, Jahrgang 1946, ist seit 1981 Vorsitzender des von ihm mitgegründeten Zentralrat Deutscher Sinti und Roma (Sitz Heidelberg). 13 seiner unmittelbaren Verwandten sind der Völkermordpolitik des deutschen Faschismus zum Opfer gefallen.

Es sagte Otto Ohlendorf, Amtschef im Reichssicherheitshauptamt der SS, über die Aufgaben der von ihm befehligten Einsatzgruppen:

»Es bestand kein Unterschied zwischen Zigeunern und Juden. Für beide galt der gleiche Befehl.«

Am Rande des Bundeskongresses der VVN-BdA, der von 1. bis 3. April 2011 in Berlin stattfand, hatte Hans Canjé Gelegenheit mit Romani Rose zu sprechen.

antifa: Der französische Philosoph Alfred Grosser fand es kürzlich in einem Pressegespräch über deutsche Befindlichkeiten »großartig«, dass im Bundestag am 27. Januar, zum Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, mit Zoni Weisz ein Vertreter der Sinti und Roma gesprochen hat. Ist das wirklich eine so erstaunenswerte Angelegenheit?

Romani Rose: Es wäre eine selbstverständliche Geschichte gewesen, wenn das auch früher schon einmal gewesen wäre, dass ein Vertreter unserer Minderheit dort hätte sprechen dürfen. In Auschwitz sind ja immerhin 500 000 Mitglieder unserer Minderheit, darunter 21 000 Deutsche ermordet worden. Wir haben solche Versuche schon vor Jahren unternommen.

antifa: Zoni Weisz hat in seiner Ansprache den Blick über Deutschland hinaus auf die Situation der Sinti und Roma in Europa geworfen. Fassen Sie doch bitte hier noch einmal die Lage Ihrer Minderheit zusammen.

Romani Rose: Es gibt Diskriminierung und Ausgrenzung in Deutschland und vielen Ländern Europa. Die Situation in Osteuropa macht uns besonders besorgt, weil es dort einen gewaltbereiten Antiziganismus gibt, der nach unserer Meinung von staatlicher Seite, durch die Justiz und die Polizei nicht verhindert wird. In Ungarn, Rumänien und Bulgarien gibt es, wie in Italien, Frankreich (dort auch durch den Präsidenten) oder hier im Lande mit der NPD, rechtsextreme Parteien, die in ihrer ideologischen Ausrichtung ganz offen Hetze betreiben gegen unsere Minderheit. Oftmals wird aber auch in den demokratischen Parteien ein vergleichbarer Populismus betrieben, werden Vorurteile gegenüber unserer Minderheit benutzt, um so auf Stimmenfang zu gehen.

antifa: In Deutschland gibt es, was die Shoa betrifft, immer noch eine Hierarchie der Opfer. Die Leugnung des Völkermord an den Juden ist strafbewehrt, von einer Verurteilung wegen der Leugnung des Völkermords an Sinti und Roma hört man allerdings ganz selten.

Romani Rose: Diese Leugnung ist aber genau so strafbar. Wir wissen jedoch, im Rechtsstaat ist die Justiz unabhängig und es liegt immer in der Bewertung der Justiz, dem Einzelfall nachzugehen. Da kann ich nur appellieren, die Verantwortung gegenüber den Verbrechen an unserer Minderheit so ernst zu nehmen, wie die gegenüber den Verbrechen an den sechs Millionen Juden.

antifa: Glauben Sie, dass die Größenordnung des Verbrechens an den Sinti und Roma, sie nannten die Zahlen, überhaupt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen ist?

Romani Rose: Nein. Das Bewusstsein darüber ist in weder in der Öffentlichkeit noch in der Bürokratie so präsent wie im Falle der Verbrechen an den jüdischen Menschen. Das liegt auch daran, dass die Verhaltensweisen der deutschen Politik im Umgang mit den Verbrechen an den Juden viel stärker wahrgenommen werden. Daher hat auch der Antiziganismus in Deutschland eine viel größere Freiheit und Toleranz als der Antisemitismus. Es liegt aber auch daran, dass die Bundesrepublik nach 1945 die Verbrechen an den jüdischen Menschen anerkennen musste, um wieder in die internationale Gemeinschaft der Völker aufgenommen zu werden. Das war der Preis. Der Völkermord an den Sinti und Roma dagegen ist erst 1982 von der Bundesregierung anerkannt worden.

antifa: Die Sinti und Roma hatten keine Lobby, hat der Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz das Problem auf den Punkt gebracht…

Romani Rose: Ja. Wir hatten keine Lobby. Weder national noch international. Deswegen hatte die Bundesrepublik auch keine Notwendigkeit gesehen, sich mit diesem Teil der Geschichte auseinander zu setzen. Das alles, auch gegenüber den Juden, war nicht von einer ehrlichen Distanzierung getragen.

antifa: Im Rückblick auf die vergangenen Jahre hat sich die Minderheit der Sinti und Roma als außerordentlich geduldig erwiesen. Ich denken an das immer noch nicht fertiggestellte Denkmal im Berliner Tiergarten. Wann werden wir den ersten Kranz am Denkmal niederlegen können?

Romani Rose: Diese Frage kann ich Ihnen noch nicht beantworten. Von Seiten der Bundesregierung war gesagt worden, in diesem Jahr. Aber das war auch schon für das vergangene Jahr gesagt worden. Die Bundesregierung muss diese Verzögerungen, jetzt um die künstlerische Umsetzung, ganz schnell klären, damit wenigsten noch ein paar Leute, die den Holocaust überlebt haben, die Übergabe an die deutsche und europäische Gesellschaft wahrnehmen können. Es ist ja auch das Denkmal, das die europäische Staatengemeinschaft auffordert, sich der Verantwortung zur Abwehr des Antiziganismus ebenso bewusst zu sein, wie gegenüber dem Antisemitismus.

antifa: Eine Aufforderung auch an die Bundesregierung.

Romani Rose: Von der Bundesregierung wünsche ich mir das sehr. Sie darf diese Abwehr des Antiziganismus nicht nur unserer Minderheit und anderen engagierten Kräften überlassen.