Wir müssen weitermachen

5. September 2013

Brief der VVN-BdA Ehrenvorsitzenden Esther Bejarano an die Leser der
antifa

Jan.-Feb. 2013

Liebe Freundinnen und Freunde,

es ist mir ein Bedürfnis euch allen meine Befürchtungen, ja meine Ängste mitzuteilen, die aus den jüngsten Ereignissen bezüglich neonazistischer Morde, Schändungen von jüdischen Gräbern, Schlägereien und Misshandlungen von antifaschistischen Bürgern, Entfernen von Stolpersteinen, dem Zeigen von Naziemblemen und Hakenkreuzbeschmierungen, die in diesem Land unbehelligt ausgeführt werden können, resultieren.

Ich bin eine von leider nicht mehr vielen Zeitzeugen und ich glaube auch in ihrem Namen sprechen zu können, wie sehr wir unter diesen Ereignissen leiden, da wir doch am eigenen Leibe erlebten, wozu der deutsche Faschismus fähig war, welche menschenverachtende Ideologie sie in die Tat umsetzten. Juden, Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten, Zeugen Jehovas, Widerstandskämpfer wurden ermordet, gefoltert, wie Tiere behandelt, erniedrigt und als unwertes Leben degradiert.

Meine Eltern und meine Schwester Ruth wurden kaltblütig erschossen, weil sie Juden waren. Täglich sehe ich vor Augen meine armen geliebten Eltern, wie sie mit anderen Juden in Kowno, Litauen nackt in der Kälte tot in einen Graben geworfen wurden. An der Schweizer Grenze wurde meine 21jährige Schwester Ruth von deutschen Grenzern erschossen.

Ich finde keine Worte für das, was sich in der heutigen Zeit an Verbrechen der Neonazis abspielt. Es ist in meinen Augen eine Schande und nicht nachzuvollziehen, dass unsere Regierung und alle Verantwortlichen der Länder sich so schwer tun, alle neonazistischen Verbände und Parteien, die wohlweislich unserer Demokratie nur Schaden anrichten können, zu verbieten. Schon Jahre zuvor forderten wir das Verbot.

Es ist auch kaum nachvollziehbar, dass als Lösung für nahezu alle Probleme in der Welt zuerst an Militäreinsätze der Bundeswehr gedacht wird und dass Menschen, die bei uns Schutz vor Verfolgung und Bedrängnis suchen, als Kriminelle diffamiert werden. Besonders schlimm finde ich den Umgang mit den Roma aus den osteuropäischen Ländern. Und das, nachdem gerade das Denkmal für die Opfer des Holocaust an den Roma und Sinti Europas eingeweiht wurde.

Liebe Freundinnen und Freunde, im Jahr 2013 jährt sich die Machtergreifung der Hitler-Faschisten zum 80. Mal. Unser Sehnen nach Frieden, nach einem Leben ohne Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Ausländerhass, für ein wohlbehütetes Leben unserer Kinder und Kindeskinder, müssen wir erst noch Wirklichkeit werden lassen. Das wollen und müssen wir Antifaschistinnen und Antifaschisten erreichen. Das muss auch dann noch auf der Tagesordnung stehen, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt. Deshalb rufe ich euch zu: lasst uns weiter gemeinsam kämpfen. Machen wir weiter in unserem Kampf.

Was wir vor nun schon 80 Jahren erleben mussten, darf nicht vergessen werden und muss immer wieder neu in Erinnerung gerufen werden, damit es sich nie wiederholen kann. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!

Eure Esther Bejarano