Tiefpunkt der Aufarbeitung

geschrieben von Markus Roth

8. Februar 2018

Wie ein Rachedrama den NSU-Komplex verständlich machen will bleibt unklar

Wenn ein Film, der die Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zum Thema hat, von der Kritik gefeiert wird und nun auch in die engere Auswahl für den begehrten Filmpreis Oscar kommt, lohnt es sich genauer hinzuschauen. Fatih Akin, prominenter Regisseur des Jugendfilms »Tschick« (2016), hat mit »Aus dem Nichts« einen Selbstjustiz-Thriller vorgelegt, dessen internationale Aufmerksamkeit einerseits der Koproduktionsfirma Warner zu verdanken ist, wohl aber auch dem Umstand, dass dem Ausland mal (pop-)kulturell erklärt werden sollte, was da eigentlich bei den deutschen Sicherheitsorganen schiefgelaufen ist mit der NSU-Mordserie (2000-2007). Kein Wunder also, dass die deutsche Filmförderung auch 750.000 Euro zugeschossen hat. Seit Mai 2017 läuft der Film auf internationalen Festivals und ist seit Ende November auch in den deutschen Kinos zu sehen.

Erzählt wird eine Geschichte, die sich an den Ereignissen rund um den Nagelbomben-Anschlag in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004 orientiert. Eine Bombe explodierte damals vor einem türkischen Geschäft. Es gab zahlreiche Schwerverletzte und Verwüstungen. Die Polizei vermutete dahinter die türkische Mafia und verdächtigte die Opfer und deren Familien. Erst Jahre später konnte der Anschlag der Neonazi-Gruppe NSU zugeordnet werden, die über Jahre hinweg mehrere Bomben- und Mordanschläge gegen MigrantInnen verübte. Was als »Ermittlungspanne« nachträglich entschuldigt wurde, gilt unter KritikerInnen als strukturelles Problem von Ermittlungsbehörden und unkritischer Öffentlichkeit: In der Gesellschaft vorherrschende rassistische Vorurteile verstellen den kriminologischen Blick und lassen ihn nicht nach rechts schauen. Hinzu kommen Motive der Vertuschung von Fehlern oder sogar die wissentliche Unterstützung des NSU durch Sicherheitsbehörden, die tief in der Neonazi-Szene ihre V-Leute platziert haben. Rund 200 Neonazis und SympatisantInnen werden zudem als MitwisserInnen vermutet – sie bleiben im NSU-Verfahren, das gerade noch in München läuft, größtenteils unerwähnt und unbestraft. Der NSU-Komplex hat also viele Facetten, die nicht so einfach darstellbar sind. Das Rachedrama von Fatih Akin deutet nur wenige davon an und führt das Pub-likum zudem auf völlig falsche Fährten.

Im Film ist es nämlich nur ein Neonazi-Liebespaar, das statt einer jahrelangen Serie nur einen Anschlag zu verantworten hat. Außerdem verfügen sie nicht wie der reale NSU über ein breites Unterstützungsnetzwerk bis in Polizei- und Geheimdienstkreise, sondern lediglich über Verbindungen zu griechischen Neonazis, die ihnen zu Alibis verhelfen, aufgrund derer sie auch freigesprochen werden. Nicht die Selbstenttarnung nach einem Bankraub (wie beim NSU), führt auf ihre Spur, sondern ein reumütiger Vater, der seinen Neonazi-Sohn verrät. Nach dem Kinobesuch bleibt hängen, dass ein verwirrtes rassistisches Pärchen, das angeblich so gar nicht in den Zeitgeist der deutschen Gesellschaft passt, mit griechischer Unterstützung gemordet hat und die liberale Justiz (»im Zweifel für die Angeklagten«) dagegen machtlos ist. Einer Angehörigen bleibt denn auch dramaturgisch nichts anderes übrig, als die Neonazis nach dem Prozess zu verfolgen und suizidale Selbstjustiz zu üben. Dieses stimmungsvoll und spannend inszenierte Justizdrama macht betroffen – ohne Frage – hat aber wenig mit den realen Hintergründen des NSU zu tun.

Schon die Wahl der Hauptdarstellerin lenkt grandios vom eigentlichen NSU-Skandal ab: Denn hier ist es eine deutsche Frau, die als Hinterbliebene weder von ihrer Familie, noch vom Chefermittler in ihrer Vermutung, Neonazis hätten ihren kurdischen Mann und ihren Sohn umgebracht, ernst genommen wird. Dass in der Realität gerade die nicht-deutsche Herkunft der Betroffenen und deren Unterrepräsentiertheit in der deutschen Medienlandschaft ursächlich für falsche Verdächtigungen durch die Medien und die Ermittlungsbehörden war, spart Akin aus. Im taz-Interview gibt er, der eigentlich dafür bekannt ist, die migrantische Perspektive in die deutsche Filmlandschaft geholt zu haben, an, dass er die Rolle mit einer blonden Deutschen besetzt hat, um nicht das kulturelle Klischee zu bedienen, dass womöglich eine muslimische Frau Rache übt. In Pegida-Zeiten mag die Intention dahinter löblich sein, aber es schadet dem Verständnis dessen, was eigentlich das Problem mit dem NSU ist.

Zugegeben, der Film zeigt gut wie Neonazis und ihre Verteidiger vor Gericht agieren, wie selbstgefällig Betroffene zu bloßen ZeugInnen gemacht werden. Neben dieser Krimi-Handlung kann die sich aufbauende emotionale Eskalation einer Frau nachempfunden werden, die alles im Leben verliert und sich dagegen nicht anders zur Wehr setzen kann als sich in die Luft zu sprengen. Das Unverständnis, die Wut, die ein Ventil sucht, der scheinbare Ausweg der keiner ist und doch der einzige bleibt – alles handwerklich gut vermittelt.

Dennoch: Wenn so die massenkompatible und auch noch international präsentierte Aufarbeitung des NSU-Skandals aussieht, sind wir weit davon entfernt, ähnliche Mordserien früher zu erkennen und strukturelle Konsequenzen einzufordern bzw. umzusetzen.

 

»Aus dem Nichts«, Regie: Fatih Akin; mit Diane Kruger, Denis Moschitto; Deutschland/Frankreich 2017 (Warner); 106 Minuten; seit 23. November im Kino

 

Als Alternative sei hier die Fernsehfilm-Trilogie »Mitten in Deutschland: NSU« (2016) empfohlen.