Antifaschistischer Lehrer
7. Januar 2022
Wilhelm Hammann: Vom Buchenwald-Häftling in den Kalten Krieg
Wir erinnern diesmal an Wilhelm Hammann, der als Lehrer und Kommunist im KZ Buchenwald entscheidenden Anteil an der Rettung der Kinder hatte und dem trotz Ehrung als »Gerechter unter den Völkern« viele Jahrzehnte in Hessen eine angemessene Ehrung verweigert wurde. Im Februar 2022 wird es im Rhein-Main-Gebiet verschiedene Erinnerungsveranstaltungen geben.
Geboren am 25. Februar 1897 in Bietigheim (südlich von Frankfurt/Main) konnte er dank Fürsprache Lehrer werden. Aus innerer Überzeugung setzte er sich für sozial Benachteiligte ein und lehnte – anders als viele seiner damaligen Kollegen – die Prügelstrafe in der Schule ab. Er engagierte sich politisch in der KPD und wurde Landtagsabgeordneter im Volksstaat Hessen. Dort setzte er sich für eine demokratische Schulreform ein und kritisierte in leidenschaftlichen Reden die unsoziale Politik der SPD-geführten Landesregierung. Wegen Kritik an Innenminister Wilhelm Leuschner wurde sogar seine Immunität aufgehoben und er wegen »Beleidigung« verurteilt. Schon vor 1933 wurde er aus dem hessischen Schuldienst entlassen. Seine Wähler honorierten sein Engagement, indem sie ihn auch 1932 wieder in den Landtag wählten.
Als engagierter Antifaschist und populärer Redner stand er ziemlich weit oben auf der Verhaftungsliste der Nazis. Ende März 1933 wurde er in Darmstadt zum ersten Mal verhaftet und über acht Monate ohne Gerichtsverfahren weggesperrt. Im Februar 1935 wurde er unter dem Vorwurf »Vorbereitung zum Hochverrat« erneut verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Anschließend überführte ihn die Gestapo ins KZ Buchenwald. Da er unter den politischen Häftlingen im Lager bekannt war, wurde er, obwohl er kein Handwerker war, nach kurzer Zeit in die Reparaturschlosserei der Deutschen Ausrüstungswerke übernommen. Wegen seines schlechten körperlichen Zustands erhielt er zwischenzeitlich sogar »Kostzulage«. Ende 1942 konnte er aufgrund seiner Qualifikation und seiner politischen Zuverlässigkeit in der Häftlingsschreibstube untergebracht werden. Dieses Kommando war für das Überleben der Häftlinge und den illegalen Häftlingswiderstand von großer Bedeutung.
Anfang 1945 wurde er im Auftrag der illegalen Lagerleitung Blockältester im Kinderblock 8. Dort waren auf Initiative der politischen Häftlinge sowjetische und polnische Kinder zusammengelegt worden, angeblich um ihnen »deutsche Ordnung und Disziplin« beizubringen. Anfangs betreute der österreichische Kommunist Franz Leitner diesen Block. Als die SS ihn absetzte, musste ein neuer zuverlässiger Blockältester, der mit Kindern umgehen könnte, her – der ehemalige Lehrer Wilhelm Hammann. Er stellte sich dieser Aufgabe mit großem Engagement und viel Einfühlungsvermögen. Seine sicherlich bedeutendste Tat war der mutige Einsatz zur Verhinderung der Deportation der Kinder dieses Blocks in den letzten Tagen des Lagers, als die SS plante, auch die Kinder auf Todesmärsche zu schicken. So erlebten mehr als 900 Kinder und Jugendliche die Selbstbefreiung am 11. April 1945.
Als Hammann nach Groß-Gerau zurückkehrte, zeigte sich, dass sein politisches Wirken unvergessen war. Die von der Besatzungsmacht eingesetzten Bürgermeister schlugen ihn als Landrat vor, und am 17. Oktober 1945 wurde er »auf Lebenszeit« ernannt. Wegen Konflikten mit amerikanischen Offizieren wurde er schon bald abgesetzt, verhaftet und in ein Internierungslager überführt, später sogar nach Dachau, wo die US-Administration den Buchenwald-Prozess gegen SS-Obergruppenführer Josias zu Waldeck-Pyrmont vorbereitete. Der absurde Vorwurf lautete, er habe im Lager Buchenwald Verbrechen gegen Mithäftlinge begangen. In dieser Situation setzten seine Kameraden der VVN und aus Buchenwald alles in Bewegung, um seine Freilassung zu erwirken. Doch erst im Mai 1947 konnte er nach Groß-Gerau zurückkehren. Man bescheinigte ihm, dass alle Vorwürfe gegenstandslos seien, als Landrat wurde er dennoch nicht wieder eingesetzt.
Nun arbeitete er hauptamtlich für die KPD. Unermüdlich war er unterwegs. Gegen die politischen Angriffe im Kalten Krieg setzte er sich für seine antifaschistisch-demokratische Überzeugung ein, unter anderem als Beauftragter des gesamtdeutschen Arbeitskreises der gegenseitigen Bauernhilfe. Bei der Rückfahrt von einem politischen Termin prallte er mit seinem Fahrzeug Ende Juli 1955 nachts auf einen unbeleuchteten US-Panzer und starb noch am Unfallort. Die große Anteilnahme bei seiner Beerdigung zeigte die hohe Wertschätzung, die Wilhelm Hammann in der Region besaß.
Im Gegensatz dazu stand der gesellschaftliche Umgang mit der Erinnerung an Wilhelm Hammann im Kreis Groß-Gerau. Bis Anfang der 1980er Jahre stießen alle Ideen einer öffentlichen Ehrung auf taube Ohren. Erst das zivilgesellschaftliche Gedenken von Antifaschisten unterschiedlicher politischer Überzeugung und die Würdigung von Hammann als »Gerechter unter den Völkern« in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem überwanden die Ablehnung der politischen Gremien. Es zeigte sich, dass in der alten BRD bis in die 1980er Jahre der Kalte Krieg die Würdigung eines verdienten Buchenwald-Häftlings verhinderte.