Stets im Widerspruch
4. September 2022
Eine wichtige Biografie über Kurt Hirsch
Der Name Kurt Hirsch ist den meisten Menschen kein Begriff. Selbst Kenner:innen der bundesrepublikanischen Zeitgeschichte ist die Person unbekannt, deren Leben quasi das »kurze 20. Jahrhundert« (Eric Hobsbawm) umspannte. Das liegt wohl auch daran, dass sich Hirsch nie in den Vordergrund spielte, ebenso keine Memoiren hinterließ. Nun hat ein langjähriger Weggefährte, der Publizist Peter B. Heim, Kurt Hirsch eine Biografie gewidmet.
Kurt Hirsch wird am 2. August 1913 in Wien in eine jüdische Familie geboren. Der Erste Weltkrieg beginnt, und er setzt der österreichischen kuk-Monarchie ein jähes Ende. Hirsch wird nur kurz in einer zionistischen, dann einer sozialistischen und schließlich in der kommunistischen Jugendorganisation aktiv. Seit 1934 ist er für den illegalen KJVÖ als Instrukteur tätig, wird jedoch schon 1937 ausgeschlossen, weil er sich kritisch zu den stalinistischen Säuberungen in der Sowjetunion äußert. Nach dem »Anschluss« Österreichs an das faschistische Deutschland folgt im März 1938 die Verhaftung durch die Gestapo und die Deportation in das Konzentrationslager Dachau. Im Jahr darauf kommt Hirsch nach Buchenwald, wo er dank der Unterstützung anderer Gefangener bis zur Befreiung überlebt. Aus dieser Zeit kennt Hirsch auch seinen Leidensgenossen Emil Carlebach. Trotz politischer Differenzen verbindet beide zeitlebens eine Freundschaft.
1945 kehrt Hirsch zunächst nach Wien zurück, wo er Leopoldine David, eine Widerstandskämpferin, heiratet. Im Jahr darauf wird Tochter Vera Irene geboren. Doch Hirsch eckt erneut an, als er die repressiven Methoden der Sowjets im besetzten Österreich bemängelt und sich zudem als Anhänger Josip Broz Titos outet. So geht die Familie zunächst in die Schweiz und kann schließlich mit der Unterstützung Eugen Kogons in die junge Bundesrepublik übersiedeln. In den 1950er-Jahren betätigt sich Hirsch als Journalist für verschiedene Gewerkschaftsblätter, aber auch für Die Tat, die Zeitung der VVN. Es folgt ein kurzes Intermezzo bei der Illustrierten Revue, die von dem Widerstandskämpfer Helmut Kindler gegründet worden war. Doch immer wieder eckt Hirsch mit seinen kritischen Beiträgen zur Tages- und Weltpolitik an. Er engagiert sich gegen die Wiederbewaffnung sowie die atomare Aufrüstung und tritt für Neutralität und Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands ein. Das bringt ihm auch Widerspruch in der Sozialdemokratie ein. Für die Gewerkschaften darf er nicht mehr schreiben – und tut es unter Pseudonym trotzdem.
1957 erscheint Hirschs erstes Buch »SS gestern, heute und …«, drei Jahre später »Die Blutlinie« beim Röderberg-Verlag, dem damaligen »Hausverlag« der VVN. Weitere Veröffentlichungen erscheinen beim Verlag Pahl-Rugenstein. Es folgen Jahrzehnte publizistischer Auseinandersetzung mit den alten Nazis, dem Neonazismus, dem Antikommunismus und Konservatismus der Bundesrepublik. Hirschs Bücher sind stets materialreich und akribisch. Das ist auch möglich, weil er bereits in dieser Zeit mit dem Aufbau eines Archivs beginnt, in dem vor allem Material der extremen Rechten zusammengetragen wird.
Seit den 1960er-Jahren ist Hirsch auch als Verleger tätig. Er bringt die Dokumentationsreihe »gestern und heute« heraus, mit dem Ziel, von Presseagenturen und Zeitungen zitiert zu werden. Die Hefte werden von Leopoldine Hirsch mühevoll druckfertig gemacht und über sozialdemokratische und Gewerkschaftskreise verbreitet.
Angesichts der NPD-Wahlerfolge gründet Hirsch mit anderen 1968 die »Demokratische Aktion gegen Neonazismus und Restauration« als überparteiliche Plattform. Dies ist dann auch der »Startschuss (…) für den publizistischen Kampf gegen Neu- und Alt-Nazis«, so Peter B. Heim. Währenddessen bleibt das Verhältnis zur VVN(-BdA) stets ambivalent. Im Klima des Antikommunismus scheint eine allzu große Nähe zu ihr nicht opportun. Aus der »Demokratischen Aktion« entsteht in den 1970er-Jahren der »Pressedienst Demokratische Initiative«. Bekannte Schriftsteller:innen und Intellektuelle wie Bernt Engelmann, Ingeborg Drewitz, Siegfried Lenz, Günter Wallraff oder Martin Walser sind dabei. Der PDI gibt zahlreiche Broschüren und Bücher über die rechten Umtriebe in Staat und Gesellschaft heraus. In einem eigenen Archiv werden – damals einmalig – rechte Zeitungen und Flugblätter gesammelt. 1983 jedoch muss Hirsch den PDI auflösen – Geldmangel und auch ein Stück Desillusionierung. Das Informationsblatt blick nach rechts wird von der SPD übernommen und noch etliche Jahre – bald ohne Kurt Hirsch – weiterbetrieben. Am 31. Dezember 1999 stirbt er schwer krank in einem Münchner Altersheim.
Das Buch ist eine Art Collage. Die einfühlsame Darstellung des Lebensweges von Kurt Hirsch wird immer wieder angereichert mit zeithistorischen Hintergrundberichten. Das Besondere aber sind die ausführlichen Zitatblöcke, in denen Hirsch selbst zu Wort kommt. Sie stammen von verschiedenen auf Tonband aufgezeichneten Gesprächen Hirschs mit dem Autor und machen die Biografie so authentisch und lebendig.