US-Machtergreifung
8. September 2024
Einflussreiche Netzwerke hinter Trump sind weit in der Gesellschaft verankert
»Fight, fight, fight!«, rief Trumps Gefolge dem Kandidaten der Republikaner zu, als er nach dem Attentatsversuch am 13. Juli mit blutverschmiertem Gesicht und erhobener Faust von der Bühne eskortiert wurde. Seitdem jedoch bei den Demokrat:innen sich Joe Biden von seiner Kandidatur zugunsten von Kamala Harris zurückzog, befindet sich Trumps Lager im freien Fall. Dabei scheinen weder die Faschismusvorwürfe gegen Trump noch die Gegenüberstellung von Harris als Staatsanwältin und Trump als Verbrecher ausschlaggebend für den Stimmungsumschwung zu sein. Stattdessen hängt Trump und seinen Schergen vor allem der Vorwurf an, sie seien »weird«, das heißt seltsam, komisch, bizarr.
Skandalträchtige Zitate
Dazu passt die Nominierung des Senators J. D. Vance aus Ohio als Trumps Vize. Dies geschah mutmaßlich nur auf Anraten zweier rechter Männer. Und zwar seitens Tucker Carlson, seines Zeichens Putin-Fan, Rassist und Ex-Fox News-Moderator, sowie Elon Musk, X-Besitzer und Multimilliardär. Seitdem vergeht kaum ein Tag ohne skandalträchtige Vance-Zitate. So über »armselige Katzenfrauen« – wozu für ihn auch Adoptiv- und Stiefmütter wie Harris zu zählen scheinen –, die sich weigern, Kinder zu haben, und deren Wahlrecht daher eingeschränkt gehöre. Oder pro Abtreibungsverbot auch im Fall einer von Vance lapidar »unbequem« genannten Schwangerschaft durch Vergewaltigung und Inzest. Seine extrem rechten und fundamentalistischen Positionen beweisen, dass er nicht nominiert wurde, um für die Republikaner:innen Moderate oder Wechselwähler:innen ins Boot zu holen, sondern um sich vollends der Radikalisierung der Partei zu einer Bastion des Klerikalfaschismus hinzugeben.
Religiös-konservative Positionen sind eigentlich Neuland für Vance, ebenso seine Trump-Treue. Trotz plakativ hochgekrempelter Ärmel ist er nicht der »Mann des Volkes«, als den er sich darstellt, sondern wurde vor allem als Investor und Stiefellecker in Silicon Valley bekannt, womit er sich den Spitznamen »Thiels Praktikant« einhandelte. Der Multimilliardär und frühere Trump-Geldgeber Peter Thiel steckte nicht nur Unmengen Geld in Vances Wahlkampf für einen Senatorenposten, sondern hatte ihm schon davor mehrere Jobs in Firmen besorgt, für die Vance offensichtlich nicht qualifiziert war. Was Thiel antreibt, ist dabei kein religiöser, sondern ein technologisch-kapitalistischer Fundamentalismus, laut dem Technologie nicht nur ein Werkzeug sei, um demokratische Prozesse zu umgehen, sondern auch der Grund, warum die Demokratie ausgedient habe, denn sie stehe der technischen Innovation im Weg, die für Thiel nur im Kapitalismus denkbar ist.
Argumentationshilfe bekommt Thiel von seinem »Hausphilosophen« und Debattentroll Curtis Yarvin. Dessen Umsturzfantasie läuft auf eine Monarchie hinaus, denn nur ein starker Führer sei in der Lage, die Macht der »Kathedrale« zu brechen – die allmächtige Kabale, besser bekannt als das Verschwörungsnarrativ der jüdisch-bolschewistischen Weltregierung. Zwar beschreibt Softwareentwickler Yarvin den Umsturz als friedlich, aber halt nur, solange die Massen mitspielen und die Opposition sich nicht wehrt. Wer nicht mitmacht, soll von einem »fröhlich-friedlichen« Mob drangsaliert werden, inklusive Armbinden für Loyale und Fußfesseln für Arme sowie Arbeitslose sowie »Umsiedlungszentren für dezivilisierte Teilpopulationen« – ein leicht umformulierter Faschismus also, nur mit Apps und guter Laune. Neben Thiel und Vance ist auch der frühere Trump-Berater Steve Bannon großer Yarvin-Fan, denn er kann wie Thiel den Untergang kaum abwarten.
Verschwörungsgläubige Weggefährten
Ein weiterer Weggefährte von Thiel ist Elon Musk. Beide waren Teil der sogenannten Paypal-Mafia, beide liebäugeln mit Verschwörungsnarrativen und Eugenik, und beide haben einst behauptet, sie würden an keine der beiden Parteien spenden und sich aus dem Wahlkampf heraushalten. Denkste. Seitdem hat Musk auf X (früher: Twitter) durch strategische Sperrungen von Personen und Inhalten, Verbreitung von gefälschten Harris-Videos, rassistischen und queer-feindlichen Verschwörungsnarrativen sowie QAnon-Inhalten und Schleichwerbung für die Republikaner deren Agenda vorangetrieben, und Trump durch lange Faninterviews wie kein Zweiter eine Plattform geschaffen. Weniger bekannt sind jedoch Musks Millionenspenden an ein politisches Aktionskomitee (PAC) für Trump. Dessen Webseite leitet Wähler:innen aus Swing States nicht wie angekündigt zu einer Wahlregistrierung, sondern sammelt stattdessen massenhaft persönliche Daten, die dann gezielt für aggressive Trump-Werbung genutzt werden können.
Dass diese PACs laut Wahlgesetz nicht direkt mit Kandidat:innen zusammenarbeiten dürfen, scheint Trump und Musk egal zu sein. Vermutlich setzen beide darauf, dass eine Trump-Wiederwahl Straffreiheit beinhaltet. Auch soll Musk mit einer Beraterfunktion in der nächsten Regierung belohnt werden, in der er über Wirtschaft und Grenzsicherheit entscheiden kann. Zusätzlich ist er, ähnlich wie Thiel, eh schon mit der Regierung durch Milliarden Dollar für Militär- und Geheimdienstverträge eng verbandelt.
Neue Freunde gemacht
Aber auch jenseits vom Silicon Valley hat sich Vance Freunde gemacht. So hat er das Vorwort zu Kevin Roberts’ neuem Buch »Dawn’s Early Light: Taking Back Washington to Save America« geschrieben, seines Zeichens Präsident der Heritage Foundation, eines rechtskonservativen einflussreichen Thinktanks. Dessen Veröffentlichung musste aufgrund aktueller Kontroversen erst mal auf November 2024 verschoben werden. Doch auch ohne das Buch ist Roberts’ Mission klar: Eine zweite amerikanische Revolution muss her, in der die konstitutionelle Republik in einen theokratischen weißen Ethnostaat umgebaut werden soll. Diese Revolution sei laut Roberts schon im Gange, und »wird unblutig bleiben, wenn die Linke dies erlaubt«. Ähnlich wie bei Yarvin muss also die Opposition einfach nur stillhalten, um einen Bürgerkrieg zu verhindern.
Die Heritage Foundation war ursprünglich eine evangelikale Organisation für Fans des früheren US-Präsidenten Ronald Reagan, konzentriert sich aber nun auf die Unterstützung von Trump und Konsorten. Geld kommt dabei auf undurchsichtigen Wegen unter anderem vom Council for National Policy (CNP), das ebenfalls seit den 1980er-Jahren Geheimtreffen mit einflussreichen Politiker:innen, Industriellen und evangelikalen Fundis veranstaltet. Das CNP steht unter der inoffiziellen Regie der Koch-Brüder, die seit Jahren dreistellige Millionenbeiträge aus ihren Fossilbrennstoff-Milliarden an republikanische Kandidaten und rechtskonservative Organisationen verpulvern.
Förderer von Hetze gegen trans und queer
Neben der Heritage Foundation haben eine Handvoll weiterer Organisationen an CNP-Treffen teilgenommen, zum Beispiel die Alliance Defending Freedom (ADF), die einen Großteil der Anti-Queer- bzw. Anti-Trans-Gesetzgebung der letzten Jahre verfasst hat. Oder die American Family Foundation, die seit Jahren das Verschwörungsnarrativ des »Krieges gegen Weihnachten« anfeuert. Ebenso Turning Point USA, die einst vor allem an US-Colleges Kulturkriege anzettelte, heute aber vor allem mit der klerikalfaschistischen Awaken-Kirche zusammenarbeitet. Diese verbindet das rassistische Verschwörungsnarrativ des »Großen Austausches« mit QAnon-Bruchstücken und veranstaltet militärische Trainingscamps mit mehreren tausend Teilnehmenden, um sich für den kommenden Bürgerkrieg zu wappnen.
Vor allem die Heritage Foundation sowie die ADF sind auch international präsent und buttern seit Jahren Millionenbeträge in Europäische Antiabtreibungs- und Anti-Queer-Gesetzgebung. Dies funktioniert auch mit strategisch platzierten Büros an allen Knotenpunkten Europäischer Gremien. Etliche CNP-Gruppen sind momentan in der US-Öffentlichkeit präsent, weil sie prominent im »Project 2025« vertreten sind, allen voran die Heritage Foundation. Die ersten Berichte über deren »Mandate for Leadership«, ein mehr als 900 Seiten langes Manifest, tauchten schon 2023 auf. Aber seit ein paar Monaten hat auch die Demokratische Partei verstanden, dass die Skandalisierung der Pläne für ihren Wahlkampf von hohem Nutzen ist. Vor allem deshalb, weil mit etwa 140 Leuten mehr als die Hälfte des »Project 2025«-Personals aus der ehemaligen Trump-Regierung stammt und teilweise immer noch für Trump arbeitet.
So ist neben Roberts der frühere Trump-Mitarbeiter Russ Vought einer der Köpfe von »Project 2025« . Vought träumt davon, den sogenannten Tiefen Staat zu zerschlagen. Er war von den Republikanern angeheuert worden, das Wahlprogramm der Partei zu schreiben. Die Agenda ist nicht weniger als die Abschaffung der Gewaltenteilung, etlicher Ministerien und Behörden (zum Beispiel für Bildung und für Umwelt) und die Zerschlagung der Gewerkschaften. Ebenso die Kriminalisierung von Abtreibungen, Verhütungsmitteln, Pornografie und jeglichen Ausdrucks queeren Lebens. Außerdem beabsichtigt ist die Inhaftierung von etwa 20 Millionen Illegalisierten (das sind etwa sechs Prozent der US-Bevölkerung) in Lagern und ihre spätere Abschiebung.
Option einer gewaltvollen Machtergreifung
Zudem plant »Project 2025« die Einsetzung von Trump-treuen Regierungsbeamt:innen auf allen Ebenen, dafür wurde extra eine Datenbank geschaffen. Diese steht unter der Regie von John McEntee, der gegen Ende der ersten Trump-Regierung Loyalitätschecks in staatlichen Institutionen durchgeführt hat. Trump braucht »Project 2025« also nicht nur für deren Inhalte, sondern auch für die Datenbank von McEntee, denn er hat bisher kein eigenes Übergangsteam auf die Beine gestellt. Außerdem wird er, falls er die Wahl verliert, auf die strategisch positionierten Beamt:innen zurückgreifen müssen. Allein in den Swing States sitzen schon 70 solcher Wahlleugner:innen in Positionen, in denen sie nicht nur den Ablauf der Wahl, sondern auch die Auszählung und Zertifizierung beeinflussen können. Und sollte dies auch nicht funktionieren, gibt es immer noch die Option einer gewaltvollen Machtergreifung – vorbereitet und angefeuert von Fundis, Technokrat:innen, Industriellen und Schwerreichen. Diesen ist die schwächelnde US-Demokratie schon lange ein Dorn im Auge. Damit wollen sie nun ein für alle Mal reinen Tisch machen.
»Project 2025« ist ein Plan zur Umgestaltung der Exekutive der US-Bundesregierung im Fall eines Siegs der Republikaner bei den US-Präsidentschaftswahlen Anfang November 2024.
Lesehinweise
- Studie: »Die Spitze des Eisbergs« von »European Parliamentary Forum for Sexual & Reproductive Rights« zu Anti-Gender-Geldern in Europa (dt.).
Download: kurzlinks.de/epf-studie - Anne Nelson: Shadow Network. Zur Geschichte des Council for National Policy (CNP) und Verwicklungen zur Heritage Foundation etc. (engl.)
- Jane Mayer: Dark Money. Zur Geschichte mehrerer reicher US-Familien und deren Einfluss, unter anderem zu den Koch-Brüdern (engl.)