Gegen den Hass
1. November 2024
Ist das schon antisemitisch? Satire, Essays, Gedichte, Geschichten und Cartoons
»Satiren, Geschichten und Cartoons gegen den Judenhass«: Das ist der Untertitel des im Verlag Satyr im September erschienenen Buches »Sind Antisemitisten anwesend?«. Herausgeber und Autoren sind Lea Streisand, die Essays und Kolumnen für taz, Berliner Zeitung und Jüdische Allgemeine schreibt, der Berliner Autor von taz und Jungle World Michael Bittner sowie Heiko Werning, der für taz und Titanic Texte verfasst und außerdem Lesebühnenaktivist ist.
Im Band sind 80 Satiren, Essays, Gedichte, Geschichten und Cartoons gegen den Hass versammelt. Die Autoren konstatieren, dass wieder mal die Juden an allem Schuld seien, selbst am 7. Oktober 2023. In diesen schrägen Gesang würden Linke und Rechte, Migrationshintergründler und »Kartoffeln«, Islamisten und Queere ebenso einstimmen wie Neonazis, Berufszonis und DekolonialistInnen, erläutert Herausgeberin Lea Streisand im Interview mit Radio eins. Wir vergessen niemals, schreibt sie in ihrer Geschichte über den Palast der Republik, aus dem ihre Eltern am Hochzeitstag gravierte Löffel mitgehen ließen. Die Gravur lässt sich heute auf Gegenständen in so manchem ostdeutschen Küchenschrank wiederentdecken.
In der Einleitung bestätigen die Autoren auf satirische Weise, dass dieses Buch natürlich von den Weisen Zions und Bill Gates gesponsert sei. Weitere antisemitische Klischees und Verschwörungserzählungen werden dem Leser durchgehend im Buch begegnen. Ob in den 1980ern im ostdeutschen Pionierlager, beim Interrail-Trip westdeutscher Jugendlicher nach Marokko oder beim Israel-Besuch eines deutschen Teenagers bei seiner Freundin, als ihm ein Araber unaufgefordert das Türschloss repariert. Das Buch ist unterhaltsam und oft sarkastisch, jüdischer Humor eingeschlossen. Humor ist ohnehin etwas, mit dem Antisemiten oft nur wenig anfangen können.
Antisemitismus scheint unter der Hand hervor
Ariane Lemme stört die Wut der sogenannten propalästinensischen Proteste nach dem 7. Oktober 2023, die mit der Haltung verbunden sei: Wir haben nicht das ganze Land, also lehnen wir jedes Angebot auf einen Teil ab. Besser wäre Mitgefühl, meint die Autorin. Aber dafür müsste die Gleichsetzung von Terror und Verteidigung endlich aufhören. Mark-Stefan Tietze verfolgt die Facebock-Einträge nach einer ZDF-»heute«-Sendung über die Tötung von sieben Mitarbeitern der internationalen Hilfsorganisation »World Central Kitchen«, die Israels Führung als Versehen bedauert. In den Einträgen interessiere sich niemand für die Kriegsziele, die Hamas zu besiegen und die Geiseln zu befreien. Auch wenn keiner der Kommentatoren die Formel vom »ewigen Juden« benutze – mit seiner unabänderlich bösen Natur, seinem zerstörerischen und kriegslüsternen Charakter und seiner seltsamen Besessenheit, aus heiterem Himmel Kinder zu ermorden. Eben dieser Antisemitismus scheint in den Kommentaren unter der Hand hervor.
In Vielfalt vereint
Die Lösung gegen Antisemitismus sucht Bodo Wartke und resümiert: Nationalisten, Islamisten, Fundamentalisten und Gangsterrap-Artisten hätten viel mehr gemeinsam, als man meint. Neben Homo- und Frauenfeindlichkeit eben auch Antisemitismus. Bei Miriam Wurster im Cartoon trauen sich jüdische Menschen nicht mehr raus. Sie könnten leider nicht erkennen, ob es sich um extrem rechten, muslimischen, linken Antisemitismus oder jenen aus der Mitte der Gesellschaft handele, heißt es in der Sprechblase dazu.
Die Geschichte eines Kleidungsstücks erzählt Volker Surmann, der Satyr-Verleger, der für die Berliner Lesebühne Brauseboys schreibt. Als Oberstufenschüler eines Landgymnasiums bei Bielefeld gehörte das Pali-Tuch bei der eher linken Schülerschaft einfach dazu. Die Tücher waren warm und haben beim Fahrradfahren sicher mancher Erkältung vorgebeugt, blickt der Autor zurück. Sie würden aber weiter ein Schattendasein hinten in seinem Kleiderschrank fristen. Es sei denn im Nahen Osten beginne ein Friedensprozess ohne Terror und radikale Siedler, mit Demokraten in zwei souveränen Staaten, Nobelpreis und dem ersten Gaza-Pride, kommentiert der Autor. Aber er befürchtet auch, die Motten könnten schneller sein.