Faschismus hacken

geschrieben von Nils Becker

4. Januar 2025

Bericht vom Kongress des Chaos Computer Clubs (CCC)

Mehrere tausend technikaffine Menschen aus aller Welt trafen sich Ende des Jahres wieder in Hamburg zum mittlerweile 38. Chaos Communication Congress. Die Auftaktveranstaltung mit dem Titel »Facism is coming« am 27. Dezember 2024 sollte die Community alarmieren und zu »illegal instructions« bzw. zur Überlistung menschenfeindlicher Technologien, Großsysteme und Ideologien animieren. Die Hackerszene, die bekannt dafür ist, Schwachstellen zu identifizieren, möge sich ihrer Kernkompetenzen wieder bewusst werden, nachdem politische und rechtliche Einflussnahmen gegen das »Abgleiten Europas in fragmentierte, unfreundliche Überwachungs- und Repressionsgesellschaften« immer schlechter funktioniere.

Seit Ende der 1980er Jahre gibt es den Kongress. Schon immer ist es um die Informationsfreiheit und den Datenschutz schlecht bestellt gewesen. Häufig fehlendes Technikverständnis in der Bevölkerung macht es Staaten und Wirtschaft leicht, hier anzusetzen und die Situation auszunutzen. Die gutausgebildete Szene, die in ihrem Berufsalltag in der IT-Sicherheit arbeitet, zum Teil im Maschinenraum der großen Treiber des Digitalkapitalismus sitzt, den Aufbau der Netzwerke und Protokolle, der großen und kleinen Alltagsgeräte kennt, macht sich nicht nur ernsthafte Sorgen, sondern erarbeitet an diesen vier Tagen in rund 200 Vorträgen und Workshops viel, was helfen kann, um die Dystopie eines Systemwandels nach rechts abzuwenden.

Blaupausen sind Polen, wo eine Allianz aus dem feministischen Streik die konservative PiS-Regierung gestürzt hat, Amtsenthebungsbewegungen in Südkorea oder prodemokratische Proteste in Georgien. Gesetzt wird auf die Selbstverantwortung der Community für gesellschaftspolitische Entwicklungen, aber mit ihren spezifischen sehr praktischen Mitteln. Auf dieser Ebene finden sich dann kleine Gruppen und Einzelpersonen, die sehr effektiv geheime Informationen bereitstellen, Entwicklungen sabotieren und praktischere Technik herstellen. Die Protagonist*innen dieser Technikbewegung von unten sind auf dem Kongress genauso vertreten wie das Rechercheteam von Correctiv, das einen Nachbericht zur Potsdamer Konferenz vor einem Jahr ablieferte, und auch diejenigen, die im Gefängnis saßen – wie der Österreicher Julian Hessenthaler, der mit dem »Ibiza-Video« vor fünf Jahren die FPÖ-Regierung zu Fall brachte.

Die rund 120 kuratierten Vorträge sind auf media.ccc.de anzusehen.

Die rund 120 kuratierten Vorträge sind auf media.ccc.de anzusehen.

Der Schutz gegen internetkriminelle Erpressung, wird ähnlich angegangen wie der Schutz von politischen Aktivist*innen gegen den Staatstrojaner »Pegasus« oder kommerzielle Ausspähung von Google und anderen Datenhändlern usw. Die Vorgehensweise ist nicht, die Technik abzuschalten oder die eigenen Schutzmaßnahmen hochzufahren, sondern zunächst die Analyse der feindlichen Vorgehensweise oder des Geräts (»Reengineering«), die Suche nach Schwachstellen und zum Schluss ein Hack zum Ausnutzen der Schwachstelle, um den eigenen Schutz zu erhöhen.

Die Vorträge versuchen meist die technischen Details als Aufhänger für eine grundlegende Kritik an der Verflechtung von Staat, Repression und Digitalbranche zu liefern – eben die Gesellschaft hacken und nicht nur deren Technik. So beschäftigte sich ein Beitrag mit den ideologischen Hintergründen von Europol und Frontex als Verwalter hochkomplexer technischer Systeme und Datenbanken, die immer dominanter in der Herrschaftssicherung werden. Amnesty Digital war mit einem Beitrag zu neuen Gefahren für Menschenrechte durch Digitalisierung dabei. Die Kritik an sogenannter Künstlicher Intelligenz setzte einerseits am fatalen Ressourcenverbrauch an und andererseits an den »gezielten Tötungen durch intelligente Systeme« durch die KI »Lavender« im Gazastreifen. Mit welchem Selbstbewusstsein die Szene auch an solche milliardenschweren Systeme rangeht, zeigt der Hack des NATO-Kurzfunksystems HALFLOOP-24, der ebenfalls erläutert wurde.

Diesmal vor allem diskutiert wurde, wie die Lebensbedingungen besonders verletzlicher Gruppen verbessert oder die Schikanen durch Wirtschaft, Staat und rechte Bewegungen abgemildert werden können: Selbstgemachte Arzneien für Transpersonen oder chronisch Kranke, Widerstand gegen die elektronische Patientenakte für mehr Datenschutz, gegen den Digitalzwang bei Leistungen der Daseinsvorsorge, klimasensible Technikentwicklung und Ressourcennutzung sowie Selbstverteidigung und Angriff im digitalen Raum. Anhand von Beispielen aus der Ukraine, vom Balkan, aus Afghanistan, Gaza und aus Gebieten, die von Hochwasser betroffen waren, wurden die Erfahrungen der Community aus der selbstorganisierten Katastrophenhilfe »mit 3D-Drucker und ohne Blaulicht« geteilt. Für Antifas besonders interessant waren Workshops wie »Enhance Antifa«, wo technische Hilfsmittel vorgestellt oder ihre Entwicklung verabredet wurden, die gemeinsame Recherchen und Vernetzung erleichtern.

Der Chaos Communication Congress ist sicherlich einer der wichtigsten Vernetzungsorte für politisch aktive, technisch informierte, und an Graswurzelbewegungen interessierte Menschen, die ihre Ressourcen praktisch und konstruktiv einbringen wollen.